Predigttext: Lukas 9, 57-62

„Als sie weitergingen, wurde Jesus von einem Mann angesprochen. »Ich will dir folgen, wohin du auch gehst«, sagte er. Jesus erwiderte: »Die Füchse haben ihren Bau und die Vögel ihre Nester; aber der Menschensohn hat keinen Ort, wo er sich ausruhen kann.« Zu einem anderen sagte Jesus: »Folge mir nach!« Er aber antwortete: »Herr, erlaube mir, zuerst noch ´nach Hause` zu gehen und mich um das Begräbnis meines Vaters zu kümmern.« Jesus erwiderte: »Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber geh und verkünde die Botschaft vom Reich Gottes!« Wieder ein anderer sagte: »Ich will dir nachfolgen, Herr; doch erlaube mir, dass ich zuerst noch von meiner Familie Abschied nehme.« Jesus erwiderte: »Wer die Hand an den Pflug legt und dann zurückschaut, ist nicht brauchbar für das Reich Gottes.« (NGÜ)

Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
liebe Gäste,

ein trauriger und freudiger Anlass zugleich: der Abschied aus der Dammstraße. Über 40 Jahre war dies ein Ort, an dem unsere Gemeinde zusammenkam und feierte. Es war auch der Ort, an dem unsere Wallonisch-Niederländische Kirche verwaltet und geleitet wurde. In diesem Saal, in dem wir heute Morgen Gottesdienst feiern, wurden viele Entscheidungen getroffen – hier fanden auch die Pfarrerwahlen meiner Amtsvorgänger statt: Pfarrerin Vanassa und die Herren Dr. Schlosser und Schein.

Auch ich selbst wurde in diesem Saal gewählt. Am 25. Januar 2007 wurden die Stimmzettel ausgezählt und das Los fiel auf mich. Dieser Tag ist im liturgischen Kalender der alten Kirche das Fest „Bekehrung des Apostel Paulus“. Das Evangelium dieses Tages erzählt von der Aussendung der Jünger. Vor allem ein Vers sticht heraus:

„Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!“ (Mk 16,15)

In diesem Vers wird uns Pfarrern und eigentlich allen Christen der Weg aufgezeigt, auf den wir gewiesen sind: hinaus in die Welt zu gehen, sich nicht zu verstecken, sondern vom Glauben zu reden und zu zeugen.

Heute Morgen nun feiern wir Abschied von diesem Gebäude. Ein Abschied aber, der eigentlich doch schon vor 20 Jahren eingeleitet wurde, als in der Wallonischen Kirchenruine das Diakoniezentrum errichtet und seitdem nicht wenige Veranstaltungen und Angebote dahin verlegt wurden, seien es der Konfirmandenunterricht, die Seniorenfeiern und vieles mehr.

In vielen von uns steckte und keimte doch der Wunsch, näher an den Tempel unseres Glaubens zu rücken und so ist es heute nur die Konsequenz, die Zelte an dieser Stelle nun ganz abzuschlagen und uns auf den Weg zu machen, zurück in das Zentrum, in Nachbarschaft zu unserer Kirche. Noch haben wir das Ziel der Finanzierung nicht voll erreicht, aber wir sind auch dort auf einem guten Weg, so dass wir hoffentlich in 2 Jahren die Einweihung feiern können.

Als dieses Gebäude hier eingeweiht wurde, nach guter Sitte natürlich mit einem Gottesdienst, wählte mein Amtsvorgänger Dr. Pribnow — seligen Angedenkens — das verlesene Evangelium als Predigttext. Es geht darin um den Ernst der Nachfolge  — ein Ernst, der jeden einzelnen betrifft, aber auch uns als gesamte Kirche.
Und in dieser Reihenfolge wollen wir über diesen Text nachdenken – bei uns selbst beginnen und dann auf unsere Kirche blicken.

wng_1_12_016Lassen wir Dr. Pribnow zunächst zu Wort kommen: „Ein Mann bietet sich Jesus an, in seine Nachfolgschaft einzutreten, er möchte nur erst noch einmal nach Hause gehen und gehörigen Abschied nehmen. Da trifft ihn dieses Wort Jesu: „Wer seine Hand an den Pflug legt, wirklich legen will, der darf nicht zurücksehen, der muss nach vorne schauen.“
Es ist also ein Wort, das zur Entscheidung ruft, zum Dienst, zum Neuanfang. [...] Damit wir aber das „Gedenken an die vorigen Jahre“ nicht vergessen, dazu halten wir an jedem ersten Junisonntag „Gedenkgottesdienst“ im Rückblick auf den geschichtlichen Weg unserer Gemeinde. Und auch sonst wird im Gemeindeleben manche Stunde, mancher Anlass sein, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen.

Aber jetzt, wo wir im neuen Gemeindehaus einen neuen Lebensabschnitt unserer Gemeinde beginnen, da trifft uns das Wort Jesu: „Wer die Hand an den Pflug legt — und wir wollen die Hände an unsere Pflüge legen! — und sieht zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes“. Wir wollen uns von diesem Worte „treffen“ lassen!“ Soweit Dr. Pribnow.

wng_1_12_017Meine Lieben, lassen wir uns also von diesem Wort in unserem persönlichen Leben treffen: Der heutige Predigttext handelt von der Nachfolge, die uns etwas abverlangt. Es geht um Konsequenzen, die wir ziehen müssen, je ernster wir ein Leben in der Nachfolge und Ausrichtung auf Gott leben wollen.

Was mir dabei auffällt ist, dass Jesus keine moralischen Standards aufstellt. Er sagt an dieser Stelle nicht, was ein Christ darf, soll und muss, sondern er gibt alleine eine Richtung vor.

Diese Richtung kann uns mit unserem bisherigen Leben in Konflikt bringen.

Das Wort von den Füchsen und Vögeln mahnt uns, dass wir beweglich bleiben und uns nicht zu viel aufladen sollen, um frei zu sein, wann immer es die Stunde gebietet, aufzustehen, loszulaufen, ohne Blick zurück, voller Erwartung auf das Kommende.

Das Wort von den Totengräbern erinnert uns daran, dass wir nicht zu lange am Vergangenen festhalten sollen, sondern gespannt auf das Kommende sein dürfen. Damit sind auch unsere Traditionen gemeint, von denen einmal ein Theologe gesagt hat: „Betet nicht die Asche der Vergangenheit an, sondern tragt das Feuer der Begeisterung in die Zukunft!“

Und schließlich das Wort vom Pflug. Es sagt uns auf den Kopf zu, dass wir Zweifel erleben und auch ab und zu Rückzieher machen. Es hinterfragt unsere Entscheidungsfreudigkeit und kanzelt – soweit möchte ich gehen – alle Schwarzmaler ab. Auf diese Verse lohnt sich ein genauerer Blick: „Und ein anderer sagte: HERR, ich will dir nachfolgen, aber erlaube mir zuvor, dass ich von denen Abschied nehme, die zu meinem Haus gehören."

Aus meiner Zeit im Kloster erinnere ich mich an manche Erzählung über den Eintritt. Als dieser eine Moment anstand, in dem man den Eltern sagen musste, dass von nun an das ganze Leben Gott gewidmet wird. Und ich erinnere mich aus den Erzählungen daran, dass nicht wenige Angst vor diesen Gesprächen hatten, denn nicht selten stießen sie auf Unverständnis und Versuche, den Lebensweg zu ändern.

In unserem Leben müssen wir immer wieder Entscheidungen treffen, die zwar auch andere betreffen, aber wir selbst müssen mit ihnen leben. Wir selbst waren es, die alleine den ersten Schultag verleben mussten, obwohl es uns vielleicht Angst machte. Wir selbst mussten zum ersten eigenen Vorstellungs- oder Prüfungstermin und ihn bestehen. Und auch wenn die Paare gemeinsam vor dem Traualtar stehen, so muss jeder für sich selbst die Entscheidungen treffen, Ja zu sagen. Und viele Entscheidungen folgen noch in unserem Leben.

Dabei ging und geht es immer um etwas. Es ging darum, dass wir in unserem Leben weiterkommen und eine neue Seite unserer Biographie aufschlagen.

Und weil – so hoffe ich – niemand anderes unsere Biographie schreiben sollte als wir selbst oder Gott, deshalb ist es so wichtig, mit sich selbst im Einklang zu sein und zu spüren, ob die zu treffenden Entscheidungen die richtigen sind. Das kann natürlich immer wieder auch bedeuten, neue Entscheidungen zu treffen und neu anzufangen.

wng_1_12_039Dass uns dies aber keine Angst zu machen braucht, davon predigte vor über 40 Jahren auch schon Pfr. Pribnow: „Jeder Tag: ein Neubeginn! Ja, jede Stunde kann einen Neubeginn bringen! Ist dieser kurze Satz nicht wahr und bedeutungsvoll:
„Immer ist Neubeginn“? Immer kann Neubeginn sein! Zu jeder Stunde kann der Ruf an uns ergehen, noch einmal neu die Hand an unseren Pflug zu legen und neue, gerade Furchen zu ziehen. Was wir gestern oder in der vorigen Woche falsch gemacht — können wir es heute oder in dieser Stunde nicht richtiger oder richtig machen?

Wenn wir es gestern oder in der vorigen Stunde an Geduld und Rücksicht, an Liebe und Barmherzigkeit haben fehlen lassen — können wir heute oder in der neuen Stunde nicht ruhiger, gelassener, freundlicher und barmherziger sein? Immer neu anfangen dürfen, immer neu die Hand fest an den Pflug legen dürfen — das ist das Leben aus der Vergebung in der Gnade, das Gott in seiner Güte und Treue uns anbietet. Gott sieht uns nicht, will uns nicht sehen so, wie wir waren, sondern so, wie wir jetzt, zu dieser Stunde sind. Er will uns davon erlösen, dass wir selbstquälerisch zurücksehen“.

Ist dies nicht die beste Botschaft des heutigen Morgens? Zu wissen, dass wir an einen Gott glauben, der uns nicht auf Vergangenes, auf unsere Fehler festlegt! Einen Gott, der selbst aus den größten Scherbenhaufen unseres Lebens noch leuchtende Paläste bauen kann, wenn wir denn glauben und vertrauen und den vielen Neubeginnen mit Gott entgegengehen!

Noch einmal Dr. Pribnow: „So haben wir das Wort Jesu vom Pflügen auf einzelne Stunden und Situationen unseres Lebens bezogen. Ich meine aber, dass es auch noch von einer anderen Seite her gehört und beleuchtet werden kann und muss. Auch das gehört zur Vielfalt der Wahrheit, zur Fülle des Lebens.
Der Pflügende hat ja ein Ziel vor Augen und im Auge: das gegenüberliegende Ende des Ackers; dahin lenkt er den Pflug. Hat unser Leben — nun unser ganzes Leben — auch ein Ziel? Hat unser Weg — unser ganzer Lebensweg — auch die Aufgabe, uns dieses Ziel erreichen zu lassen? Damit sind wir bei nichts Geringerem als bei der Frage nach dem Sinn unseres Lebens.
Denn das ist nun deutlich: der Sinn unseres Lebens erfüllt sich in dem Maße, wie wir das Ziel unseres Lebens erreichen. Praktisch gesprochen: wissen wir um ein Ziel unseres Lebens, so werden wir uns mühen, dieses Ziel zu erreichen.“

wng_1_12_061Meine Lieben, jedem von uns ist ein Ziel im Leben vorgegeben – daran glaube ich. Die Hand an den Pflug zu legen, das kann uns niemand abnehmen. Aber gerade der Advent lädt uns doch ein, Menschen guter Hoffnung zu sein.

mehr aus unserem Leben machen können, als uns gerade vor Augen steht. Dass wir –ganz gleich wie alt wir sind –  immer wieder neu ans Werk gehen dürfen, um unsere Ziele zu erreichen, die wir uns doch setzen wollen und sei es ein weiterer Tag vollen Lebens.

Geschwister im HERRN, was ist nun das Ziel unserer Kirche – dies wollen wir zum Ende der Predigt noch einmal kurz bedenken. Als unsere Glaubensvorfahren hier in Hanau ankamen, war es ihnen wichtig, in das Zentrum ihrer Neustadt eine Kirche zu bauen, die ihnen zum EBENEZER wurde, das heißt „Bis hierher hat Gott geholfen!“

In den vergangenen vier Jahrhunderten war und ist unsere Kirche aktiv und unternehmungsfreudig gewesen, auch in Sachen Bauangelegenheiten. Es gab ein niederländisches Bethaus, später ein Gemeindehaus.

Auch die Wallonen besaßen ein solches, später noch ein Waisenhaus. Die Pfarrer lebten quer verstreut durch die ganze Stadt.

Aber ihr Zentrum war und blieb die eindrucksvolle Doppelkirche, die trotz der Kriegsspuren bis heute nichts von ihrer Faszination verloren hat. Als lebendige Gemeinde sind wir niemals am Ziel angekommen, bevor Gott selbst nicht den Schlusspunkt setzen wird. Es ist für mich ein schönes Bild des mitgehenden Gottes, wenn im Alten Testament für das Volk Israel in einem Zelt, der Stiftshütte nämlich, die Herrlichkeit Gottes in der Bundeslade gegenwärtig ist.

Bei Gott gibt es keinen Halt und so ist und war dieses Gemeindehaus auch immer nur ein Zelt, ein Tabernakel, das nicht für die Ewigkeit bestimmt war. Die Zeit ist nun erfüllt und reif, aufzubrechen und an anderer Stätte von Neuem anzufangen. Deshalb unterscheidet die Bibel zwischen „chronos“ und „kairos“ – alles hat seine Zeit zum Werden, aber es gibt den einen Moment, den kairos, in dem die Würfel gefallen sind und die Zukunft beginnt. Darauf dürfen wir gespannt sein und voller Kraft unsere Hände an den Pflug legen.

Auf uns ruht der segnende Blick Gottes, der uns mutig machen möge, wann immer uns Zweifel kommen – sei es im persönlichen Leben, oder in den Entscheidungsgremien unserer Kirche. ER stärke uns die Hände, die sich zum Beten und Bitten falten mögen und sich dann zur Tat auch wieder öffnen. Gott ist mit uns auf dem Weg.

Daran glaube ich, davon predige ich und bezeuge es im Namen Jesu Christi. AMEN

Torben W. Telder, vdm
Es gilt das gesprochene Wort.