Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
vor allem Sie, liebe Konfirmations-Jubilare,

liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,
werte Konsistoriale im Apostelamt unserer Kirche,

in diesem Jahr haben mich besonders viele Briefe nach Versendung der Einladungen zum diesjährigen Konfirmationsjubiläum erreicht, was mich gefreut hat. Menschen schrieben mir von ihrem Leben, von den Höhen und Tiefen, Erfolgen und Rückschlägen. Auch vom Glauben und dessen Festigkeit war in manchen Zeilen zu lesen. Einige Personen wären gerne heute bei uns, können es aber nicht, weil sie verhindert oder eben ob des Alters nicht mehr ganz so mobil sind.

Einige wenige haben mir von ihrer Konfirmandenzeit erzählt und haben entweder ihre Freude über das heutige kirchliche Leben geäußert oder auch ihren Unmut über die Jugend von heute, die ja so ganz anders ist und anders glaubt, als es vor Jahrzehnten üblich war. Ich bin dankbar für solche Einblicke in persönliche Lebensgeschichten, aber auch über Zeiten unserer eigenen Kirchengeschichte, die uns Nachkommen eben nur durch solche Äußerungen lebendig werden kann. Gott allein weiß, wie lange die Zeitzeugen noch leben werden.

Unsere Konfirmationsjubiläen: 1939 in der intakten Kirche bei Pfarrer Munk – seligen Angedenkens – 1944 auch noch in der intakten Doppelkirche bei Pfarrer Brölsch – seligen Angedenkens – die Jahrgänge 1949, 1954 und 1964 bei Pfarrer Pribnow – seligen Angedenkens – und schließlich 1988 bei Pfarrer Schlosser – seligen Angedenkens. 

Sie merken schon: Alle diese Pfarrer sind uns bereits vorangegangen in die himmlische Herrlichkeit. Sie, die Jubilare, haben sie noch kennenlernen dürfen oder sind in einer anderen Kirche an einem anderen Ort konfirmiert worden. 

Meine Lieben, Sie alle haben damals einen Konfirmationsvers mit auf dem Weg bekommen. Erinnern Sie sich noch an ihn und hat er Ihnen dann und wann einmal die Spur Gottes in Ihrem Leben gewiesen? Auch ich möchte Ihnen heute zwei Worte der Heiligen Schrift mit auf den Weg geben, die ich mit diesem Festtag und mit der Lebenserfahrung verbinde, die Sie in den vielen Jahren Ihres Lebens angesammelt haben.

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Das erste Wort aus dem Buch des Propheten Jesaja 40,13 lautet: „Wer hat des Herrn Sinn erkannt oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ Sicher spüren Sie den hintergründigen Humor, der in dieser Frage aufblitzt. Wer ist schon einmal Gottes Ratgeber gewesen? Würde jetzt jemand von Ihnen aufstehen und mit lauter Stimme rufen: „Ich!“, so würde es hier in der Kirche ein schallendes Gelächter geben. Ein kleiner Mensch der Ratgeber Gottes? Darüber kann man wirklich nur lachen.

Es ist aber doch eine alte Erfahrung, dass sich im echten Humor ein tiefer Ernst verbirgt. Auch in dem biblischen Humor, der im Buch des Propheten Jesaja aufleuchtet. Wer ist Gottes Ratgeber gewesen, wer hat des Herrn Sinn erkannt? Natürlich niemand. 

Auch die Bibel gibt nicht umfassend Auskunft über den „Sinn des Herrn“. Denn ebenfalls im Buch des Propheten Jesaja heißt es im Blick auf Gott: „Unerforschlich sind seine Wege“. Niemand kann also wissen, warum die einen von Ihnen bisher vor schweren Schicksalsschlägen bewahrt wurden und andere nicht. 

Wenn ich auf Ihre Namen schaue und die Geschichten dahinter, so weiß ich um viele glückliche Momente, aber eben auch darum, dass mancher von Ihnen bereits am Grab des Ehegatten stand, mit schwerer Krankheit zu kämpfen hatte oder hat, mit gescheiterten Beziehungen und vielem mehr.  

Wir wissen nicht, warum es Gott so gefügt hat. Auch die Bibel gibt uns keine Antwort auf die Frage: „Warum hat der eine dieses und ein anderer ein ganz anderes Schicksal zu tragen?“ Auch das muss im Gottesdienst immer wieder einmal gesagt werden, damit wir es nicht vergessen: An Gott glauben heißt gerade nicht, sein Geheimnis zu ergründen.

Geschwister im HERRN! Das zweite Bibelwort, das ich nenne, steht im Epheserbrief (Eph. 4,15): „Lasset uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus.“

Vielleicht berührt Sie das Wort „wachsen“ schmerzlich, weil Sie sich fragen, was in höheren Lebensjahrzehnten eigentlich noch wachsen soll. Die Silbernen Jubilare stehen in der Mitte des Lebens, die Goldenen an der Schwelle zum Ruhestand. Aber was kommt, was „wächst“ dann? 

Im Alter machen wir ja eine ganz andere Erfahrung als die des Wachstums. Die Kräfte lassen nach, den Beruf hat man schon aufgeben müssen, die Kinder sind aus dem Haus und Enkel bringen eine neue Zeit ins Haus. Alt werden heißt: abgeben müssen, hergeben müssen. Dagegen können wir uns nicht wehren, und der Einsichtige findet sich mit diesem Gesetz des Lebens ab.

Dieses Gesetz gilt aber – und das ist befreiend – nicht für den Glauben. Für Gott ist niemand zu jung und niemand zu alt. Damals war in Ihrem Unterricht davon die Rede, dass selbst ganz kleine Kinder von Jesus angenommen und gesegnet worden sind. Der Pfarrer hat zu Ihnen (hoffentlich) nicht gesagt: „Für den Glauben seid ihr noch zu klein.“ Im Gegenteil, er hat gesagt: „Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn ihnen ist das Reich Gottes zugedacht“ (Markus 10,14). 

Für den Glauben gibt es kein Mindestalter und es gibt für den Glaubenden auch keine Versetzung in den Ruhestand, kein Verfallsdatum. Niemand muss aufhören, „in allen Stücken“, also in jeder Beziehung, „zu wachsen zu dem hin, der das Haupt ist, Christus“. Das ist die wunderbare Möglichkeit der reifen Lebensjahre. Sie ist der große Ausgleich zu dem Verzicht, den jeder leisten muss, der älter wird.

Ein Mensch nämlich, Gemeine Gottes, wächst im Glauben nicht in einem atemberaubenden Tempo wie ein Haus, das aus Fertigteilen zusammengesetzt wird und nach zwei Tagen steht. Der Glaube wächst eher wie eine Blume, langsam und nicht feststellbar für den, der sie aufmerksam betrachtet. 

Wenn Sie im Glauben weiterwachsen wollen, haben Sie also Geduld mit sich selbst – nicht weniger Geduld, als Gott mit Ihnen hat. Aber tun Sie auch etwas, denn wie alles im Leben verlangt auch der Glaube seinen Preis. Etwas tun – das kann zum Beispiel heißen: versuchen, einen alten Streit aus der Welt zu schaffen, es wenigstens zu versuchen. Oder für die Verwandten Fürbitte tun, auch für die sonderbaren Verwandten. Wer hätte solche nicht? Es ist eine alte Erfahrung: Über einen Menschen, für den man betet, denkt man nach einiger Zeit anders, realistischer, aber auch gerechter.

Die Frage, ob Sie als Jubelkonfirmanden, aber auch wir alle, in den letzten Jahrzehnten im Glauben gewachsen sind, wird natürlich nicht öffentlich verhandelt werden, daran hindert uns eine natürliche Scheu. Aber in unseren Herzen kann die Frage nach dem Wachstum im Glauben aufwachen und die Hoffnung, dass dieses Wachstum weitergehen wird.

Noch einmal zum ersten Bibelwort: „Wer hat des Herrn Sinn erkannt oder wer ist sein Ratgeber gewesen?“ Ich möchte es auch in diesem Jahr nicht unerwähnt lassen, dass einige von Ihnen aus unserer Kirche auch im Konsistorium Verantwortung übernommen haben während der vergangenen Jahre. Aus Erzählungen weiß ich, dass Sie zur Zeit Ihrer Konfirmation mit Ehrfurcht auf die Konsistoriumsbänke geschaut haben und Angst hatten, etwas falsch zu machen. 

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Das hat Sie aber, liebe Frau Sann, liebe Frau Wegner, liebe Frau Dauth und lieber Herr Hildebrandt,  nicht davon abgehalten, selbst sich für das Konsistorium zur Verfügung zu stellen.

Wenn Sie heute auf diese Bänke schauen, sehen Sie, dass es bunter, jünger, lebendiger ausschaut. Dass Sie keine Angst zu haben brauchen, etwas falsch zu machen, denn, wir alle sind Menschen und Menschen können nun mal Fehler machen. Dieses haben Sie auch mit vorbereitet.

Hätten Sie, liebe Frau Wegner, damals 1949 daran gedacht, eines Tages das höchste Amt der Präses-Ältesten innezuhaben, geschweige denn hätte überhaupt damals einer daran gedacht, dass eine Frau dieses Amt ausüben könnte? So ist es ein besonderer Tag unserer Kirche, dass mit den Jubelkonfirmandinnen Wegner und Dauth neben Frau Zimmermann als amtierende, alle drei Frauen hier im Raum sind, die jemals als Präsides gewählt wurden. 

Und schließlich: Von den zu Anfang erwähnten Briefen ist mir einer besonders wegen seiner Offenheit und Ehrlichkeit aufgefallen, was mich sehr gefreut hat. Etwas kritisch heißt es darin – und ich zitiere natürlich anonym: „Eine kleine Ewigkeit liegt hinter uns, in der die Biologie hemmungslos ihre ästhetischen Grausamkeiten begehen kann am menschlichen Individuum, und natürlich auch begeht. […] Ich finde es außerordentlich sympathisch, dass Sie zum feierlichen Konfirmandenwiedersehen animieren aus dem Anlass edelmetallischer Jubiläen und dass Sie das im feierlichen Rahmen begehen mit den zum Teil ja recht angejährten Schäfchen. Ich vermute, dass das nicht mal für einen Pfarrer ein ungemein prickelndes, vergnügungssteuerpflichtiges Event ist. Umso größer mein Respekt, dass Sie es trotzdem tun.“

Hat der Briefeverfasser damit wohl recht? „Jein“, möchte ich sagen. Ich habe viel Respekt vor Ihrer Lebensleistung und es ist eine Ehre für mich, Sie am heutigen Tag gemeinsam mit meiner Kollegin auf ein Neues einzusegnen. Ihr Kommen zeigt, dass Sie noch mobil sind. Sind Sie aber auch noch beweglich und offen für Neues in Ihrem Denken? Sie, die Jubelkonfirmanden, und wir alle als Christen in dieser Stunde?

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Ja, die Zeiten haben sich geändert und ich hoffe, Sie haben sich mitgeändert. Auch diese Kirche hat sich verändert, Dinge sind nicht mehr so wie früher. Wer nur die Asche vergangener Zeiten anbetet, vergisst, dass wir die kommenden Generationen mit der Flamme der Begeisterung anstecken müssen, um unser kostbares Erbe zu erhalten. Dazu Ja zu sagen, ist auch Teil unseres reformierten Glaubens. 

Der Glaube, der die Zusage hat: „Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum und wird bleiben im Hause des HERRN immerdar.“ (nach Psalm 92)

Darauf vertraue ich, davon predige ich und dies bezeuge ich im Namen Jesu Christi.

 Pfarrer Torben W. Telder, vdm
– Es gilt das gesprochene Wort –