Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
liebe Gäste im Tempel unseres Glaubens,

während die Kinder nebenan nun Masken basteln dürfen, wollen wir etwas nachdenklicher werden und einmal auf das bunte Treiben schauen, was so um uns herum passiert. Heute jedoch sehen wir eigentlich nur auf uns selbst. Fasching und Kostümierungen aus Schminke, lustigen Klamotten und Masken gehören ja zusammen. Gerade hinter einer Maske kann man sich so schön verstecken und wohl die Hochkultur der Maskerade gibt es dieser Tage in Venedig. Oder gibt es sie doch eher woanders und wann anders ?

[Sonnenbrille aufsetzen] Ich weiß nicht, wer die Sonnenbrille erfunden hat. Es war jedenfalls eine äußerst praktische Erfindung. Nicht so sehr, weil durch eine Sonnenbrille die Augen geschont werden. Das ist nur ein Nebeneffekt. Als viel wichtiger hat sich herausgestellt, dass man seine Augen hinter den dunklen Gläsern wunderbar verstecken kann. Die eigenen Augen sehen alles, werden aber selber nicht gesehen. Man kann langsam die Straße entlanggehen, den Passanten ungeniert ins Gesicht blicken, ist aber selbst vor ihren Blicken aufs Beste geschützt. Die Sonnenbrille ist eigentlich eine Maske, die wir das ganze Jahr über, wann immer wir es wollen, aufsetzen können, selbst wenn es regnet oder zu diesig ist.

Ähnlich muss sich ein mittelalterlicher Ritter vorgekommen sein, wenn er an seinem Helm das Visier heruntergeklappt hatte: Er sah durch seinen Sehschlitz alles, wurde aber selber nicht erkannt. Ähnlich müssen sich neugierige Menschen hinter den Gardinen vorkommen: Sie sehen alles, werden aber selber nicht gesehen. Sie bleiben im Dunkeln. Die Sonnenbrille ist die Maske des modernen Menschen. Gäbe es sie nicht schon, sie müsste schleunigst erfunden werden.

Und nun möchte ich meine Sonnenbrille wieder absetzen und etwas Ernstes sagen: Was so manche Leute auf der Straße machen – das Gesicht hinter einer Brille verstecken, den anderen ins Gesicht sehen wollen, ohne das eigene Gesicht dabei zu zeigen – das machen wir, wenn auch auf einer anderen Ebene, ständig alle miteinander. 

wng hanau 2016 3 4 5 007

Wir verbergen unsere wahren Gedanken. Wir schirmen uns ab. Wir lassen uns nicht in unser Inneres blicken. Wir alle tragen Masken, oft mehrere auf einmal. Manchmal nehmen wir eine unserer Masken ab, aber dann kommt darunter nur eine neue Maske zum Vorschein. Wir machen die größten Anstrengungen, zu verbergen, was wir in Wahrheit sind. Ja, wir sind nicht bereit, uns dem anderen wirklich zu öffnen.

Dabei verlangen wir aber gleichzeitig gerade von den anderen, dass sie uns entgegenkommen, dass sie uns ihr Herz öffnen, dass sie uns sagen, was sie bewegt und dass sie Vertrauen zu uns haben. Wir wollen das Gesicht der anderen sehen, unser eigenes Gesicht dabei aber nicht preisgeben. Wir wollen ihnen in die Augen blicken – ohne die Maske von den eigenen Augen abzureißen.

Aber das geht nicht. Wenn wir uns hinter unseren Masken verstecken, können wir nicht erwarten, dass andere ihre Masken ablegen. Wie soll denn ein anderer als Mensch mit uns reden, wenn wir ihm unser wahres Gesicht nicht zeigen, sondern ihn durch dunkle Gläser betrachten mit Augen, die nicht zu erkennen sind! Aber verstecken wir uns wirklich hinter Masken, ohne unser Gesicht zu zeigen? 

Bei der Predigtvorbereitung bin ich über ein Buch von Siegfried Lenz gestoßen, der uns etwas anderes über Masken erzählt. In seinem Buch „Die Maske“ erzählt er von einem Studenten, der seine Semesterferien beim Großvater, dem Inselwirt, verbringt. Es ist Sommer geworden. Auf der kleinen Insel in der Elbmündung sind die ersten Feriengäste angekommen und für den Wirt der Gaststätte hat die Saison begonnen. Da peitscht ein Unwetter von der Nordsee über die Insel und als die Menschen sich wieder an den Strand trauen, liegt dort eine große Kiste, im Sturm über Bord gegangen von einem Schiff der China Shipping Container Lines. 

Darin befinden sich Masken, bestimmt für das Völkerkundemuseum in Hamburg. Die Menschen probieren die Masken an, sind plötzlich selbst Drache, Tiger oder Puma. Die vermeintliche Maskierung bringt das wahre Gesicht zum Vorschein. Unter dem Schutz der Masken werden Feindschaften beigelegt, Vorurteile vergessen und eine Liebschaft geknüpft. Die Masken verleihen ihren Trägern neue Identitäten und neue Möglichkeiten.

„Die Dorfbevölkerung stellt fest, dass die Maske ihnen eine bestimmte Freiheit verschafft“, erzählt Lenz. „Eine Freiheit des Sagens, des Anvertrauens, aber auch eine Freiheit des Zorns, der Wut, der Empörung, die man loswerden kann unter der Maske.“ Hinter den Masken verändern sich auch die Menschen. Sie verbergen sich nicht dahinter, sondern machen sich vielmehr kenntlich und zeigen ihr wahres Wesen. Man kann meinen, Lenz wolle uns sagen: „Gib dem Menschen eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen und sein eigentliches Ich zeigen“. 

Welche Maske müsste ich also absetzen oder aufsetzen, um mein wahres Gesicht zu zeigen, um ganz echt zu sein. Und christlich formuliert, um so zu sein, wie Gott mich gedacht hat? Und Gott wollen wir ja auch heute nicht vergessen. 

Manche Tage kommt mir doch der negative Gedanke: Trägt nicht auch Gott Masken? Er ist uns ja verborgen, er lässt uns sein Angesicht nicht sehen. Er will, dass wir mit ihm sprechen, aber er bleibt uns unsichtbar. Er verlangt, dass wir ihm unser Herz öffnen, aber wir bekommen ihn dabei überhaupt nicht zu Gesicht. Gleicht er nicht einem jener unhöflichen Zeitgenossen, die man auf der Straße trifft, die ein Gespräch mit uns anfangen und dabei ihre Sonnenbrille aufbehalten. Will man ihnen in die Augen sehen, so blickt man in zwei dunkle Glasflächen. Ihr Gesicht bleibt Fragment – und es ist unheimlich leer. 

Mit einem, der seine Augen absichtlich verbirgt, kann man nicht sprechen. Man sagt ein paar Belanglosigkeiten und verabschiedet sich. Verabschieden sich deshalb vielleicht so viele vom Glauben: Wir sollen mit Gott ein Gespräch führen; er aber hält sein Angesicht verborgen. Wir sollen ihm unser Herz öffnen, er aber lässt uns ins Leere sprechen. Wie soll man mit einer Maske reden?

Solche Gedanken können einem tatsächlich kommen. Und vielleicht überspielen wir auch mit einem Lächeln unsere Zweifel, wenn wir einmal ein Gespräch über Glaube und Gott mit anderen Menschen führen. Ich sage in solchen Diskussionen, dass, wenn wir wissen wollen, wer Gott ist, wir auf Christus schauen müssen. Wer ihn sieht, sieht den Vater. Und in Christus haben wir ein wunderbares Anschauungsmaterial, wie Gott ist und wie er sich verhält. 

Zurück zu den Masken und zur Sonnenbrille. Manches Mal zwingt einen ja das Leben dazu, zu meinen, wir dürften uns nicht so geben, wie wir sind. Vielleicht haben Sie sich gewundert über die heutige Lesung von den  sieben fetten und mageren Jahre. Aber ist dies nicht unsere Erfahrung? Nicht nur, dass es von Altweiberfasching bis zum Aschermittwoch sieben Tage sind und dann ist alles vorbei, sondern dass es auch in unserem Leben Freuden- und Durststrecken gibt. Und gerade bei Letzteren ziehen wir doch lieber eine Sonnenbrille auf, als unsere verweinten oder verkaterten Augen zu zeigen. 

wng hanau 2016 3 4 5 008

Wer andauernd Rollen spielt, der verliert sich ziemlich schnell. Ehen und Partnerschaften, die zerbrochen sind, weil sich einer der Partner oder alle beide in einer Rolle verloren haben, die nicht mehr authentisch war. In wie vielen Familien, Freundes- und Kollegenkreisen kann man nicht mehr miteinander reden, weil sie sich in Rollen hineingesteigert haben: „Ich weiß, wie Du bist!“ und dann da nicht mehr herauskommen. Ehe man sich versieht, ist man der Gefangene einer Rolle. Die meisten entdecken diese Tragödie erst, wenn der Unterschied zwischen der Rolle und ihrem Original zu groß wird. Wer bist du im Original? Trägst Du eine Sehnsucht in Dir, echt sein zu können? 

Ja, wir tragen Masken, weil wir wollen, dass man uns lieb hat und uns anerkennt. Das steckt tief drin. Wir können nicht glauben, dass man uns lieb hat, wie wir wirklich sind, weil wir selbst nicht immer genau wissen, wer wir eigentlich sind und lieber den gesellschaftlichen Normen entsprechen wollen. Wir benutzen Masken, weil wir manches Mal einfach nicht die Kraft haben, wir selbst zu sein. 

In der biblischen Lesung nutzt Joseph die fruchtbaren Jahre, Lebensmittel einzulagern, um sie für die Zeit der Dürre vorrätig zu haben. Fasching erinnert uns vielleicht daran, ausgelassene und fröhliche Stimmungen für die Zeit im Herzen zu bewahren, wo das Leben stumpf und traurig wird. Ja das ganze Leben ist ein Auf und Ab von guten und schlechten Zeiten. Wir alle machen unsere Erfahrungen und das ist auch gut so.

In einem Pop-Song fand ich dazu folgende Strophe: „Wer niemals schwach war, wird nie wirklich stark. Wer nie zu hoch greift, erreicht nie die Sterne. Wenn du nie aufgibst, kommt einmal dein Tag. Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient. Je dunkler die Nacht, desto  heller der Morgen. Je tiefer der Fall, desto höher der Flug.“ Sie werden gleich sehen, von wem dieser Song ist. [Udo Jürgens: „Wer nie verliert …“]

Also meine Lieben! Genießen wir die Zeit hinter Masken und Sonnenbrillen. Aber seien wir auch stark und mutig, uns dann und wann einmal hinter die Maskerade sehen zu lassen und wir werden entdecken, dass wir uns gar nicht zu verstecken brauchen. Denn es geht kein Mensch über die Erde, den Gott nicht gewollt hat – heißt es in der Weisheit Salomonis. Geben wir den anderen Menschen die Chance, uns auch zu mögen und zu entdecken. 

Im Namen Jesu AMEN!

Pfarrer Torben W. Telder, vdm

– Es gilt das gesprochene Wort –