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30. Oktober 2022 über Lukas 4, 16-30
Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
welche Idole und welche Stars hatten Sie in Ihrer Kindheit? Menschen, die Sie beeindruckt haben? Wenn ich an meine Kindheit denke, dann fällt mir die Fernsehserie Knight Rider ein – wer wollte damals nicht solch ein mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Auto (KITT) haben und wie David Hasselhoff den Kampf für Gerechtigkeit kämpfen? Oder Lee Majors aus der Serie „Ein Colt für alle Fälle“ – mehr Abenteuer ging nicht mehr.
Ich muss gestehen, ich habe diese Serien zwar gerne geschaut, aber viel prägender für meine spätere Berufswahl war Fernandel, der als Don Camillo mit Peppone so manche Begebenheit hatte, die zum Schmunzeln anregte.
Fernandel war nun schon kein Star mehr meiner Kindheit, da die Filme bereits 1965 abgedreht waren. So kennt jede Zeit ihre eignen Idole. Menschen, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen oder gestellt werden. Menschen, zu denen man aufschaut und denen man nacheifern will. Nicht nur im Fernsehen entdecken wir solche Persönlichkeiten, sondern auch in der Politik.
Eine ganze Generation war von Willy Brandt begeistert und man trat in Massen in die SPD ein. Helmut Kohl hat nicht ganz so viele Begeisterungsstürme ausgelöst, aber auch er passt gut in diese Aufzählung, und zwar wegen etwas anderem: mancher Star wird mitunter unerwartet vom „Sternenhimmel“ heruntergestützt. Die einen demontieren sich selbst, anderen wird übel mitgespielt und wiederum andere verschwinden einfach im Nebel der Geschichte und werden vielleicht von Zeit zu Zeit aus der Mottenkiste geholt.
Heute erinnern wir uns in der evangelischen Konfessionsfamilie an die Reformation. Als ein scheinbar unbedeutender Mönch namens Martin Luther 95 Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg hämmerte. Ob er ahnte, welchen Sturm er damit in Europa auslösen würde? Was folgte, hätte der beste Drehbuchautor nicht besser erfinden können: 1521 wurde Luther in Worms für vogelfrei erklärt. Er floh auf die Wartburg, wo er die Bibel ins Deutsche übersetze.
Die Politik entschied sich für oder gegen seine Kirchenreform. 1555 wurde der Augsburger Religionsfrieden geschlossen, dem der Schmalkaldische Krieg voranging und der Dreißigjährige Krieg in Europa folgte. Da war der Reformator schon längst tot – 1546 war er in Eisleben gestorben.
Aber sein Ruhm wirkte über seinen Tod hinaus: eine ganze Konfession wurde nach ihm benannt und in Deutschland zierten Lutherlinden die Innenstädte und Büsten wurden in vielen Bereichen angebracht. Man war (man ist) stolz auf diesen großen Deutschen.
Geschwister im HERRN, ohne dass Sie es vielleicht bemerkt haben, sind wir bereits mitten im heutigen Predigttext angelangt, zumindest im ersten Teil der Perikope. Der Evangelist Lukas erzählt davon, dass Jesus wieder in seine Heimatstadt Nazareth zurückgekehrt war. Es ist Sabbath und für einen guten Juden gehört es sich, in die Synagoge zu gehen.
Ich kann mir gut vorstellen, wie das abgelaufen sein kann: Neben den normalen Gottesdienstbesuchern waren sicherlich auch viele Neugierige gekommen, um diesen besonderen Menschen, diesen Star, einmal zu sehen und zu erleben. Er war doch einer von ihnen. Er war in der Nachbarschaft aufgewachsen, manche werden sich mit ihm auf den Wegen zum Spielen getroffen haben. Man saß zusammen in der Synagogenschule und kämpfte sich durch hebräische Gesetzestexte.
Jesus sitzt also in der Synagoge, sicherlich in der ersten Reihe, damit er von allen gesehen werden kann. Und als es zur Schriftlesung kommt, wird er gebeten, an das Pult zu treten und die Tageslesung aus der Thorarolle vorzulesen. Es ist ein Abschnitt aus dem Propheten Jesaja: „Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat und gesandt, zu verkündigen das Evangelium den Armen, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und die Zerschlagenen zu entlassen in die Freiheit und zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.“ Dann setzt er sich wieder an seinen Platz.
War das alles? Nicht mehr von ihm? Also wenn man so einen wichtigen Menschen schon zu Gast hat, dann sollte er doch auch persönlich das Wort ergreifen und das Bibelwort auslegen. So richten sich alle Augen auf ihn und sind gespannt, was er wohl sagen wird. Doch was dann folgt, lässt die Stimmung kippen.
Der Kontext unseres heutigen Predigttextes ist nun entscheidend. Der Evangelist Lukas hat ihn an einer Stelle erzählt als Jesus schon längst in Galiläa tätig gewesen ist. Deshalb erwähnt Lukas, dass viele davon erzählten, was für großartige Wunder und Zeichen er schon getan hatte. Und natürlich vergaßen sie nicht, zu erwähnen, dass er als Josefs Sohn einer von ihnen war – sicherlich mit stolzgeschwellter Brust. Der Evangelist Matthäus führt es noch ausführlicher aus. Dort wird Jesus dafür gepriesen, dass er den Blinden sehend, den Tauben hörend, den Lahmen gehend, den Gefangenen frei gemacht und den Toten auferweckt hatte. Was würde er wohl nun für große Dinge in Nazareth bewegen?
Wohl kein Zufall war deshalb auch das JesajaWort. Das Prophetenwort bezieht sich direkt auf den Messias und verkündet ein Gnadenjahr für alle. Sicherlich wurden damit einige Hoffnungen bei den Zuhörenden geweckt: ist es jetzt wirklich so weit? Kann es sein, dass dies mitten unter uns hier in Nazareth anbricht?
Ihnen wird warm ums Herz geworden sein, als sie zu verstehen meinten, dass der segnende Blick Gottes auf ihnen ruhe. Dass Armut und Unterdrückung endlich vorbei sein werden. Und vielleicht färbt ja auch ein wenig von der Heiligkeit Jesu auf sie selbst ab, schließlich ist er ja einer von ihnen.
Doch Jesus enttäuscht und die positive Stimmung kippt ins Negative. Er sagt nämlich: „23 Und er sprach zu ihnen: Ihr werdet mir freilich dies Sprichwort sagen: Arzt, hilf dir selber! Denn wie große Dinge haben wir gehört, die in Kapernaum geschehen sind! Tu so auch hier in deiner Vaterstadt! 24 Er sprach aber: Wahrlich, ich sage euch: Kein Prophet ist willkommen in seinem Vaterland.“
Eben noch euphorisch, macht sich Zorn und Hass breit. Jesus erinnert nämlich (in den Versen 25 – 27) daran, dass Gott oftmals auch die Feinde Israels gebraucht und gesegnet hat.
Damit erklärt er den Menschen an jenem Morgen in der Synagoge, dass Gottes befreiende Kraft nicht nur exklusiv für sein auserwähltes Volk gilt, sondern sie ist für die ganze Welt verheißen, unabhängig von ethischen, kulturellen, sozialen oder konfessionellen Grenzen. Gott wirkt dort, wo er es für nötig hält und nicht wo die Menschen einen Anspruch darauf erheben.
Ein Skandal! Vielleicht sogar Gotteslästerung? Die eben noch feierlich versammelte Gemeinde rottet sich zu einem Mob zusammen und treibt Jesus zur Stadt hinaus, um ihn zu töten. Lukas beschreibt dies als „um ihn hinabzustürzen.“ Das bringt mich wieder zum Anfang meiner Predigt, als ich von den Idolen und Stars gesprochen habe. Nicht selten müssen wir nämlich mit ansehen, wie solche Personen auch hinabgestürzt werden von ihren Podesten, auf die sie die gleichen Menschen gehoben haben.
Um einen Menschen fertig zu machen, werden Gerüchte und Unwahrheiten verbreitet. Man wirbelt viel Staub auf und die Medien schnüffeln noch im letzten Winkel des Privatlebens herum, um eine möglichst reißerische Schlagzeile zu bekommen. Karrieren werden mit einem Klick zunichte gemacht.
Wir alle erleben dies täglich, wenn es nicht mehr um die Wahrheit, sondern ums Fertigmachen geht. Wieso scheuen sich heute Menschen, Personen des öffentlichen Interesses zu werden? Weil sie dadurch angreifbar werden und Fehler, die wir alle machen, lange nachgetragen werden. Die sozialen Medien tragen einen erheblichen Teil dazu bei. Wie schnell ist etwas „geliked“ oder weitergeleitet, wie schnell stoßen auch wir damit andere Menschen in den Abgrund, ohne uns dessen vielleicht bewusst zu sein. Und es tröstet die Betroffenen nur wenig, wenn auf einer Innenseite dann die Richtigstellung in der Zeitung erscheint.
Ist es nicht erschreckend, wie hoch die Selbstmordrate unter Jugendlichen ist, weil sie über Facebook, WhatsApp oder Instagram in der Schule gemobbt werden? Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass, wenn Politikern die Argumente ausgehen, nicht selten der politische Gegner dann durch gezielte Angriffe auf sein Privatleben zerstört werden will?
Im Gedenken an den Reformator habe ich in den letzten Jahren einen ähnlichen Eindruck. Luther ist für mich auch immer im Kontext seiner Zeit zu verstehen. Man kann und muss ihn heute anders interpretieren, aber man kann ihn als Kind seiner Zeit nicht demontieren, wenn man nur noch seine fremdenund judenfeindlichen Passagen hervorhebt oder ihm solche Entwicklungen in die Schuhe schiebt, die andere nachfolgende Generationen aus seinen Schriften gezogen haben. Sein bleibendes Vermächtnis sind Kirchenreformen, mit denen sich seit über 500 Jahren unsere katholischen Geschwister noch immer schwertun. Sein Geschenk an uns alle ist seine Betonung der Gnade ohne Leistung, der Freiheit der Entscheidung und die Freude am Glauben statt Angst.
Der heutige Predigttext ist also auch eine Frage an uns selbst: Stehen wir etwa auch manchmal dabei, wenn eine Person in den Abgrund „hinabgestürzt“ werden soll?
Meine Lieben! „Aber Jesus ging mitten durch sie hinweg.“ Jesus lässt sich durch die wütende Menge nicht aufhalten und auch nicht unterkriegen. Dafür bewundere ich ihn bei manchem Gegenwind als Pfarrer. Man kann ihm vielleicht vorwerfen, dass er weiteren Diskussionen aus dem Weg gegangen ist und die Menschen nicht zu überzeugen versuchte. Blinden Hass kann man nur selten beruhigen.
Deshalb lässt Jesus diese negative Energie hinter sich und wendet sich wieder dem zu, für das er gesandt ist: das Evangelium unter die Menschen zu bringen. Durch Galiläa hindurch bis nach Jerusalem zieht sich seine Spur der Wunder und Hoffnungsworte, bis er schließlich in Jerusalem dem Tod den Schrecken durch seine Auferstehung nimmt.
Auf diesen Weg sind wir alle gesandt, ob als Einzelne oder als Kirche, ob mit Rückenoder Gegenwind. Dieser Weg, der uns oftmals aus unserer Komfortzone herausführt, führt uns an jene Orte, an denen wir gebraucht werden: zu den geistig und materiell Armen, zu denen mit gebrochenem Herzen, zu denen, deren Leben ins Wanken und aus den Fugen geraten ist. Für diese und für uns selbst dürfen wir glauben, dass selbst an den Abgründen unseres Lebens der Weg weitergeht.
Und wenn wir uns einmal zu entmutigt und schwach fühlen, dann gilt auch für uns der Zuspruch des Engels des HERRN, der in der heutigen Lesung an Elia in der Wüste erging: „Und der Engel des HERRN kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und Elia stand auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise bis zum Berg Gottes. (1.Kö.19, 7f.)“ AMEN!
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von Pfarrer Marcin Brzóska, Präsidium derGemeinschaft ev. Kirchen in Europa
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Sehr geehrter Herr Pfarrer Telder,
sehr geehrte Mitglieder des Konsistoriums, liebe Festgemeinde,
es ist mir eine große Freude und Ehre, dass ich an diesem besonderen Tag an dem Jubiläum Eurer Kirchengemeinde teilnehmen darf. Ich freue mich, dass ich Euch heute ganz herzliche Grüße und Segenswünsche von Schwestern und Brüdern – evangelischer Christinnen und Christen, die von Portugal bis nach Russland und von Island bis nach Griechenland leben und gemeinsam die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa bilden, überbringen darf.
Seit nun fast 50 Jahren verbindet die GEKE evangelische Kirchen in Europa, die sehr unterschiedlich sind. Es gibt in unserer Gemeinschaft Mehrheitsund Minderheits-Kirchen, Volkskirchen und Kirchen der Diaspora. Wir leben in verschiedenen sozialen, politischen, gesellschaftlichen und auch religiösen Verhältnissen. Doch auch bei so vielen Unterschieden, bei so stark ausgeprägten Diversitäten, bilden wir die eine Kirche Jesu Christi.
Zum Leben der Kirche gehört auch das Feiern, so freue ich mich, dass ich heute gemeinsam mit Euch als Vertreter des Rates und des Präsidiums der GEKE feiern darf. Ich freue mich, dass wir heute vor Gott unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen können.
Als ich nach einem Bibelwort für die heutige Predigt suchte, ist mir sofort das Wort des Paulus an die Römer eingefallen: „Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“
Natürlich sind wir mit unseren fröhlichen und dankbaren Gedanken an den 1. Juni 1597, also an dem Tag der Gründung Eurer Gemeinde hier in Hanau. Doch eigentlich beginnt die Geschichte viele Jahre früher in den niederländischen Provinzen, an der heutigen Grenze zwischen Belgien und Frankreich.
Die Reformationsgedanken erreichen auch dieses Land und seine Bewohner. Doch aus politisch religiösen Gründen werden sie gezwungen das Land zu verlassen. Sie werden zu Vertriebenen, Flüchtlingen, Migranten. Sie gehen zuerst nach England, doch sie finden dort keine Ruhe. Sie fühlen sich gezwungen weiter zu gehen und kommen nach Frankfurt, doch auch dort finden sie keinen Ort für sich. Diesen Ort finden sie erst hier in Hanau. Sie bauen die Stadt eigentlich neu auf. Sie sind tatsächlich ein Segen für dieses Land – und das bis heute!
Die Wallonisch-Niederländische Kirche in Hanau trägt ein kostbares Erbe. Dieses Erbe ist das kompromisslose Gottvertrauen und der Mut, Gottes Wege zu gehen.
In dieser Woche vor Pfingsten müssen wir uns die Frage stellen: Was ist eigentlich die Kirche. Was heisst es, eine Kirche haben und eine Kirche sein?
Einerseits gibt die Kirche eine gewisse Stabilität, die der Mensch im Leben sucht und braucht. Sie ist ein Orientierungspunkt – und dabei meine ich nicht nur die Kirche als Gebäude, das die Silhouette der Stadt prägt, sondern auch als eine spirituelle Basis.
Aber andererseits ist die Kirche eine Strömung. Das Wesen der Kirche ist Bewegung, Veränderung. Diese Bewegung wird im Christentum unterschiedlich wahrgenommen und genannt. Als evangelische Christinnen und Christen benutzen wir dafür den Begriff Reformation.
Reformation ist ein Aufruf zur Veränderung, zu einer Umgestaltung in unserem Leben. Es ist ein Aufruf zur Bewegung, zum Mut, neue Schritte zu machen und neue Wege zu gehen. Aber vor allem ist es ein Aufruf zur Metanoia – zur Veränderung unserer Gedanken, der Art und Weise in der wir Gott, den Menschen – auch uns selbst und die Welt sehen. So gesehen ist die Reformation nicht ein Ereignis aus der Vergangenheit, sondern unsere Gegenwart!
Wir lesen und hören heute die Botschaft des Apostels Paulus an die Christinnen und Christen in Rom. Für mich ist es eindeutig eine Reformationspredigt.
Paulus schreibt an die junge Gemeinde von der Wirkung des Heiligen Geistes. Schwestern und Brüder! Wir haben den Heiligen Geist empfangen – den gleichen Geist, den auch die Apostel am Pfingstmorgen empfangen haben. Sie sind dann auf die Straßen Jerusalems gegangen und haben von Jesus erzählt: fröhlich, mutig und frei! Der Geist erinnerte sie an die Botschaft Jesu von Gott dem Vater, von Gottes Liebe und Gnade, von der Freiheit.
Paulus schreibt also an die Römer: Vergesst nicht! Zweifelt nicht! Schlaft nicht ein! Ihr habt den gleichen Geist empfangen. Er führt auch Euch in ein neues Verhältnis zu Gott – in das Verhältnis von Kindern zum Vater, geprägt von Vertrauen und Liebe. Deshalb: Fürchtet Euch nicht! Habt keine Angst! „Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!“
Fürchtet Euch nicht, Euer Leben zu reformieren – verändern, neue Wege zu gehen, anders zu handeln und anders zu denken. Fürchtet Euch nicht frei zu sein, mutig, fröhlich und voller Leben und Hoffnung.
Lasset Euch von Gottes Geist treiben! „Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ Was heißt das: sich treiben lassen? Ich habe ein Bild vor Augen: Ein Segelbot. Wind und Strömung treiben es voran. Es nähert sich dem neuen Land. Sich treiben lassen heißt einerseits aufgeben, auf eine gewisse Weise auf den eigenen Willen verzichten. Aber andererseits heißt es Vertrauen und Gottes Werk tun, wohin wir geschickt werden. Gottes Willen und die Berufung erkennen.
Ich stelle mir und Euch die Frage: Wohin treibt uns heute der Heilige Geist?
Lasst uns an zwei Geschichten erinnern – eine aus dem Alten und eine aus dem Neuen Testament.
Die alttestamentliche Geschichte erzählt von dem Propheten Elia. Er verkündigt König Ahab Gottes Strafe. Aber bevor Ahab zornig wird, sagt Gott zu Elia: Du musst fliehen! Elia geht zuerst an den Bach Kerit, aber dann treibt ihn Gott weiter – in ein Dorf namens Sarepta. Für Elia ist es ein fremdes, heidnisches Land. Dort begegnet er einer Frau. Sie ist Witwe, hat einen Sohn und nichts zu essen. Sie hat auch keine Hoffnung mehr, keine Kraft weiterzumachen. Sie ist am Ende. Erschöpft wünscht sie sich und ihrem Sohn den Tod: Einschlafen und nie wieder aufwachen. Elia war selbst erschöpft. Er hat kein Getreide, aber er vertraut Gott. Voller Vertrauen geht er in ihr Haus. Durch ihn – den Mann Gottes – passieren dort Wunder. Das Brot ist wieder da und die Hoffnung und die Lebensfreude.
Die zweite Geschichte erzählt von dem Apostel Philippus. Der Engel befiehlt ihm aufzustehen und in Richtung Gaza zu gehen. Gott schickt ihn in die Wüste. Dort trifft er einen Mann – den Diener der Königin von Äthiopien. Teurer Wagen, schöne Kleider, doch Philipus sieht mehr. Er sieht einen armen Mann, der so viele Fragen hat, die sein Leben betreffen und keine Antwort findet. Er hat sogar die lange, teure und anstrengende Reise nach Jerusalem unternommen, um Gott so nahe wie möglich zu kommen und ihm diese Fragen zu stellen. Der Geist treibt Philippus weiter. Er soll noch näher kommen, er soll ins Gespräch kommen mit dem fremden Mann. Er soll ihm von Jesus erzählen. Das tut er auch. Das Evangelium verändert das Leben des Mannes... oder vielleicht sogar das Leben der beiden Männer.
Ja, der Geist treibt auch uns heute. Er treibt uns zu einer Begegnung mit Menschen in der materiellen und seelischen Not. Ich denke jetzt an die Milionen von Flüchtlingen aus der Ukraine, die auf der Suche nach Sicherheit und Frieden ihre Heimat verlassen haben.
Er treibt uns auch zu den Fremden, den Andersgläubigen – wie damals, als Elia nach Sarepta ging – in das Land der Heiden. Er treibt uns zu Menschen, die erschöpft und verzweifelt sind. Und er treibt uns auch dorthin, wo Menschen nach dem Sinn ihres Lebens suchen, damit wir ihnen mit Wort und Tat von Jesus Christus erzählen – von Gottes Liebe und Gnade und von dem neuen Leben, das wir in IHM haben.
Aber er treibt uns auch in die Stille des Gebets. Er treibt uns zum Bücherregal, wo unsere Bibel ist. Er treibt uns hierher, in die Gottesdienstgemeinschaft damit wir die Antwort finden: Was heißt es eigentlich, ein Christ zu sein? Was heißt es, einen gnädigen Gott in Christus, dem Gekreuzigten finden? Er treibt uns dorthin, wo wir uns selbst besser kennenlernen.
Ja, es ist nicht einfach: sich treiben lassen. Da müssen wir einiges in uns verändern und neu entdecken.
Schwestern und Brüder – wir sind frei für die Reformation. Wir sind frei für die neuen Wege. Frei für neue Gedanken und frei für die Liebe.
Denn Freiheit ist nicht die Frucht der Reformation, sondern die Reformation, die Veränderung ist die Frucht der Freiheit, die wir duch Jesus Christus und in Jesus Christus haben.
„Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Philipper 4,7“
Amen.
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am 19.3.2022 Pfarrerin Antje Biller – Leitungskreis Nagelkreuzgemeinschaft
Liebe Schwestern und Brüder,
„Es kann vor Nacht leicht anders werden, als wie’s am frühen Morgen war“, heißt es in einem alten Kirchenlied. Wie wahr... Als Sie hier begonnen haben, den heutigen Abend vorzubereiten, als Bruder Telder die Nagelkreuz-Gemeinschaft eingeladen hat, an diesem Evensong mitzuwirken, selbst als wir vor nicht allzu langer Zeit deswegen den ersten Kontakt hatten, da war die Welt noch ein anderer Ort. An Corona hatten wir uns gewöhnt, das Leben mit den Schutzmaßnahmen ist längst zur Normalität geworden. Mir ist es neulich passiert – und vielleicht kennen Sie das auch: Ich habe einen Kollegen aus der Schule, der mir ohne Maske in der Stadt begegnete, nicht erkannt. Als er zum Gespräch die Maske wieder aufzog, die Augen und der Haarschopf über dem Drahtbügel, erst da sah er wieder vertraut aus.
Der Klimawandel wird endlich angepackt, das war das hoffnungsfrohe Gefühl bei vielen, seitdem im Dezember eine neue Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat. Alle kleinen, eigenen Bemühungen bekommen nun mehr Rückenwind aus der großen Politik, so der Eindruck. Und ja, schon seit Monaten spielte der russische Präsident seine Spielchen an der ukrainischen Grenze. Aber wir alle, die ganze
Welt hat doch aus dem 2. Weltkrieg gelernt, soweit wird er es doch nicht treiben...
Als Sie hier begonnen haben, den heutigen Abend vorzubereiten, als Bruder Telder die Nagelkreuz-Gemeinschaft eingeladen hat, an diesem Evensong mitzuwirken, selbst als wir vor nicht allzu langer Zeit deswegen den ersten Kontakt hatten, da dachten wir doch alle, dass neben dem Gedenken wie immer das Danken stehen wird, für Frieden und Demokratie, für Wohlstand und gute Beziehungen, und dazu die Sicherheit, dass es genauso auch weitergehen wird.
„Es kann vor Nacht leicht anders werden.“ Und auf einmal gehört zum Gedenken nicht mehr die selbstverständliche Sicherheit einer Zukunft in Frieden und Wohlstand, sondern das Entsetzen über einen neuen Krieg in Europa und die bange Frage, ob wir am Beginn eines 3. Weltkrieges stehen, dessen Ausgang sich keiner ausmalen möchte.
Und während wir genervt bis verärgert im Supermarkt stehen, weil Mehl und Öl weggehamstert sind, summieren sich in anderen Gegenden der Welt Krieg und Klimawandel zur Aussicht auf Hungerkatastrophen mit Millionen Toten.
Und Corona? Gestern wurden ja nun die neuen Bestimmungen öffentlich gemacht; endlich die langersehnten gesetzlichen Lockerungen. Allerdings hab zumindest ich niemanden jubeln hören. Angesichts der explodierenden Fallzahlen und vollgelaufenen Krankenhäuser hieß es durchgängig: Ich trage auch weiterhin Maske und halte Abstand. Freiheit – nein danke?
Erst am Mittwoch wurde in meiner Heimatstadt Würzburg der Zerstörung der Stadt am Ende des 2. Weltkrieges und der über 3000 Toten gedacht. Ein Tag im März 1945, aus einer schönen, blühenden Stadt wird ein Grab am Main – das haben Hanau und Würzburg gemeinsam, und hier wie dort stehen wir erschüttert, verunsichert und ungläubig angesichts der Katastrophen unserer Gegenwart.
Im Johannes-Evangelium Kapitel 16 lesen wir die Worte Jesu:
20 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, aber die Welt wird sich freuen; ihr werdet traurig sein, doch eure Traurigkeit soll zur Freude werden. 21 Eine Frau, wenn sie ein Kind bekommt, so hat sie Schmerzen, denn ihre Stunde ist gekommen. Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie nicht mehr an die Angst um der Freude willen, dass ein Mensch zur Welt gekommen ist. 22 Auch ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. 23 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er‘s euch geben. 24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. 26 Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; 27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. 33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Es ist ziemlich schonungslos, was Jesus sagt über das Leben von Christinnen und Christen in der Welt. Und gleichzeitig finde ich es ungeheuer tröstlich. Schonungslos, weil das Leid der Menschen, so wie er spricht, wohl unausweichlich zum Leben gehört. Was meint Gott der Herr seinen Geschöpfen zumuten zu dürfen: „Ihr werdet weinen und klagen, und die Welt wird sich freuen“?!
Aber genauso ist es. Unsere ganze Geschichte finden wir in diesen Worten wieder. Und nicht nur unsere. Die allermeisten hier werden die Begebenheiten kennen, aus denen die Nagelkreuz-Gemeinschaft gewachsen ist:
Schon im November 1940 wurde die mittelenglische Stadt Coventry im Rahmen der Operation Mondscheinsonate von der Deutschen Luftwaffe bombardiert, der Angriff, der die meisten Todesopfer in England forderte. So erfolgreich, dass der NS-Propagandaminister Goebbels den Begriff „Coventrieren“ für die Vernichtung einer Stadt aus der Luft erfand. Ihr werdet weinen und klagen und die Welt wird sich freuen...
Zusammen mit weiten Teilen der Innenstadt – gut viereinhalbtausend Häusern – wurde auch die mittelalterliche St. Michaels-Cathedral in jener Nacht zerstört. Der Dompropst Richard Howard ging am nächsten Morgen in die Ruinen seiner Kathedrale, um die Schäden anzusehen. Und er fand zweierlei: zwei verkohlte Balken, die überkreuz im Schutt lagen. Ein Zeichen für ihn, denn genauso hat er sie zusammenbinden und als Altarkreuz in der Ruine aufstellen lassen. Und er fand drei der Zimmermanns-Nägel, mit denen die schwere Holzdecke der alten Kathedrale zusammengebaut war, und fügte auch sie zu einem Kreuz, eben dem Nagelkreuz, zusammen. Und schrieb an die Chorwand der Ruine die Worte, die auch Jesus am Kreuz gesprochen hat, „Vater vergib“.
Er hat sich keine Freunde damit gemacht, denn natürlich hätte es doch heißen müssen „vergib ihnen“, den bösen Deutschen nämlich.
Aber selbst angesichts des monströsen Bombenterrors war sich Howard bewusst, dass es vor Gott, unter dem Kreuz Christi, schlechterdings keinen Menschen gibt, der nicht für irgendetwas auf Vergebung angewiesen wäre: Sie alle haben gesündigt und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, wie es der Apostel Paulus formuliert.
Und diese Klarsicht und Demut haben es ermöglicht, dass die einst erbitterten Kriegsgegner sich im Zeichen des Nagelkreuzes wieder begegnen und annähern konnten, einander vergeben und aussöhnen. Christopher Cocksworth, der Bischof von Coventry, erzählt gerne von der Trauung seines Sohnes Sam in der Ruine der alten Kathedrale. Sam hat eine junge Deutsche geheiratet, Friederike. Zur Hochzeitsgemeinde gehörten zwei alte Damen, eine war die Großmutter von Sam, also die Mutter des Bischofs. Die andere war die Großmutter von Friederike. Ihre Väter haben im ersten Weltkrieg versucht sich gegenseitig umzubringen. Ihre Ehemänner haben im zweiten Weltkrieg versucht sich gegenseitig umzubringen. Und nun erklärten ihre Enkelkinder einander die Liebe und versprachen einander treu zu bleiben, auf Deutsch und auf Englisch, inmitten der Ruinen einer Kathedrale, die durch Hass und Konflikt zerstört wurde.
Die Feier danach fand im Bischofshaus statt. Deutsche und Briten aus fünf Generationen tanzten durch die Nacht, einschließlich der beiden Großmütter. Es hat hundert Jahre gebraucht, aber in dieser Nacht, so empfand es der Bischof, waren die Kriege nun endlich vorbei. Die Versöhnung ist angekommen, vollends und endgültig, in diesen beiden Familien. Und nun gibt es eine neue Generation in der Familie. Im vorvergangenen Oktober bekamen Sam und Friederike eine kleine Tochter. Eine deutsch-britische Tochter.
Schonungslos, haben wir vorhin festgestellt, und zugleich tröstlich. Da ist das ungeheure Leid, Tod, Angst, Schmerz, und da ist das, was aus alledem wachsen kann: Mut, Vergebung, Liebe, eine Zukunft. Ich habe die Welt überwunden, sagt Jesus. Christinnen und Christen und Nagelkreuzler erst recht glauben an einen Frieden in Christus, glauben an eine Welt, die gerecht ist, solidarisch und in der nationalistische, rassistische und sexistische Untaten und egoistisches Geplärre überwunden sind. Auf diese Welt warten sie, auf die freuen sie sich und dafür arbeiten und beten sie.
Das macht das Leid dieser Welt nicht einen Deut besser und es darf, gerade da, wo es menschengemacht ist, niemals verteidigt werden. Doch aus dem Wissen um eine andere Welt unter der Herrschaft eines liebenden himmlischen Vaters fließt zuerst die Zuversicht und dann die Kraft, sich für Gerechtigkeit und Frieden, für Vergebung und Versöhnung einzusetzen.
Das Nagelkreuz ist ein Symbol dafür, und ich finde, das Wappen Ihrer Kirche passt gut dazu: Last und Frucht; und beides verbindet sich mit dem Bild aus dem Evangelium: die Schmerzen einer Geburt und die Freude über das Kind.
Glaube, so sagt man, ist wie ein Vogel der singt, wenn die Nacht noch dunkel ist. Dann sind Christen und Christinnen und Nagelkreuzler zumal Menschen, die ihre Versöhnungsarbeit anbahnen, während Krieg und Pandemie noch toben. Ganz getrost, denn unser Herr hat die Welt überwunden. Im Namen Jesu. Amen.
- es gilt das gesprochene Wort! -
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Text: Lukas 17, 11 – 19 „Die zehn Aussätzigen“
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
liebe Familien und Verwandte,
liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
ein vielleicht etwas ungewöhnlicher Text für Eure Vorstellung. Oder aber ein Text, der die Realität wiederspiegelt: wie viele von Euch werden nach der Konfirmation ganz eng mit unserer Kirche verbunden bleiben? Ich meine eng und nicht locker, denn sicherlich und hoffentlich werde ich Euch vielleicht bei einer anderen Familienfeier wie Trauung, Taufe oder Beerdigung wiedersehen. Ach ja: und da ist dann ja noch Weihnachten. Alles wichtige Ereignisse und ich freue mich schon heute dann auf ein Wiedersehen. Aber dazwischen liegt noch eine Menge Zeit. Und davon handelt das heutige Evangelium: neun vergessen Jesus und nur einer kehrt um.
Ich möchte dies gar nicht moralisieren. Jeder von uns hat so seine Erfahrungen mit Kirche gemacht. Und jeder hat sich wohl nach seiner Konfirmation erst einmal verabschiedet, be- vor der Punkt in seinem Leben kam, an dem er „umkehrte“ und wieder die Nähe zu Gott, dem Glauben und/oder seiner Kirche suchte. Was zählt, dass Ihr in der Zwischenzeit nicht vergesst, dass Euch hier immer offene Arme und Ohren erwarten.
Nun hat uns die Coronazeit leider nicht die Möglichkeit gegeben, uns näher aneinander zu binden. Ich vertraue auf Gottes guten Geist, dass Ihr dennoch eine Verbindung in Euch spürt. Dass ein kleiner Samen in Euch gelegt wurde, der leise und unauffällig wachsen möge. Ihr wart mit anderen Dingen beschäftigt: Homeschooling, Distanz und Einschrän- kungen im Alltag bestimmen die letzten ein- einhalb Jahre. Ich habe Euch gebeten, von Euren Ängsten und Sorgen zu berichten und Ihr habt aussagekräftige Texte geliefert, die uns einen Einblick in Euer Inneres erlauben. (Anonymisiert folgen nun die Aussagen:)
Konfirmandin 1 schreibt:
Wie habe ich die Coronazeit empfunden?
Es war eine sehr aufregende und nervenzerreißende Zeit mit vielen Emotionen. Teilweise habe ich nicht mehr gewusst, was ich denken soll. Es ist eine Zeit, die uns belehrt hat, dass nichts von Dauer ist und dass jeder Moment einzigartig ist, denn wir werden ihn nie wieder erleben sobald er vorbei ist. Dankbarkeit für die gelebten und genossenen Momente. Ich glaube wir sind alle dankbarer geworden, jedenfalls bin ich es.
Was habe ich vermisst? Was habe ich genossen?
Vermisst habe ich die Spontanität, die Freiheit, nach Lust und Laune zu entscheiden. Die Coronamaßnahmen, besonders die Maskenpflicht, empfinde ich als sehr einschränkend. Ich vermisse es, in der Schule zu singen und laut zu lachen, in der Pause spazieren zu gehen und sich dabei frei zu unterhalten. Ich vermisse es loszulassen.
Ich genoss allerdings den Kontakt zu neuen wundervollen Menschen, die ich kennenlernen durfte. Besonders die Gespräche bis in die Nacht hinein werde ich so schnell nicht vergessen. Ich genoss aber auch die Zeit mit meinen Lieben, die mir geschenkt wurde. Die Zeit, für die man sonst keine „Zeit“ gehabt hätte. Alte/neue Lieblingsbeschäftigungen habe ich wieder für mich entdeckt. Die Pandemie ist ein Ausnahmezustand und nicht so leicht zu akzeptieren, keine Frage, jedoch hat sie – da bin ich mir sicher, dass ich nicht nur von mir spreche – den Menschen gezeigt und bewiesen, wie unwichtig es sein kann, ob man „cool“ genug aussieht, sondern wie wichtig es ist, einen Zusammenhalt in der Familie und im Bekanntenkreis zu haben, geliebte Personen, die gegenseitig auf sich selbst und auf die anderen aufpassen und sie respektieren.
Konfirmandin 2 schreibt:
Teilweise war es während dieser Zeit sehr schwierig, da man auf sehr viel verzichten musste und es nicht erträglich war, so viele Leute in kürzester Zeit sterben zu sehen, vor allem, weil man durch die Medien, alles ver- stärkt mitbekommen hat.
Vermisst habe ich die Treffen mit meinen Verwandten und meinen Freunden und eine Zeitlang auch den Unterricht in der Schule, da es über den Computer sehr anstrengend war zu lernen, anstrengender als in der Schule. Genossen habe ich die Zeit mit meinen Eltern, mit meinem Bruder und meinem Hund, da man gemeinsam mehr unternehmen konnte und dadurch die Familie noch mehr zusammengewachsen ist.
Ich hatte Angst, dass jemand aus meiner Familie und meinem Freundeskreis erkrankt und die Wirtschaft noch weiter runterfährt, sich nicht mehr erholt und noch weitere Leute ihre Jobs verlieren. Mir haben die positiven Seiten von Corona Hoffnungen geschenkt, wie zum Beispiel, dass die Natur sich in kurzer Zeit erholt hat und die Tiere in ihren vorherigen Lebensraum zurückkehren konnten, ein Beispiel die Rückkehr der Delphine in den Kanälen von Venedig.
Konfirmandin 3 schreibt:
Anfangs war es für jeden eine harte Zeit, da man nicht wusste, wie es weitergeht. Dann haben plötzlich die Schulen geschlossen und somit wurde auch der soziale Kontakt stark eingeschränkt. Aber mit der Zeit, nach fast 2 Jahren, hat sich Corona in unser Leben ein- gespielt und man weiß, wie man damit umzugehen hat.
Vermisst habe ich die sozialen Kontakte, sich mit Freunden zu treffen und ohne Hinterge- danken Sachen zu erledigen. Ich habe aber auch genossen, dass man mehr Zeit für die Familie hatte und mehr Zeit für die Schule und Freizeit blieb.
Ich hatte Angst davor, nicht zu wissen, wie es weitergehen soll, aber auch Hoffnung, dass es nach dieser Zeit alles wieder so wird wie vorher.
Konfirmandin 4 schreibt:
Wie habe ich die Coronazeit empfunden?
Die Zeit zuhause, oft alleine, war sehr schwer, weil ich mich mit niemandem verabreden konnte und ich nicht trainieren konnte. Freunde aus der Schule konnte ich auch nur über den Online-Unterricht sehen.
Was habe ich vermisst? Was habe ich genossen?
Keine Freunde treffen und nicht trainieren können habe ich am meisten vermisst und war auch sehr froh, als ich dann wieder andere treffen konnte. Für mich persönlich war eine der guten Sachen, dass man nicht so viel Schulstress durch Tests und Arbeiten hatte.
Was hat mir Angst gemacht? Was Hoffnung?
Angst hatte ich davor, dass die Pandemie so schlimm bleiben würde, man gar nicht mehr raus dürfte oder es noch länger so im Lockdown weiter gehen würde. Hoffnung hatte ich durch gute Nachrichten, wie zum Beispiel, dass wieder Läden öffnen durften oder man wieder Menschen bzw. Freunde sehen konnte.
Meine Lieben, traurige und bewegende Worte von jungen Menschen, die ihr Leben gerade entdecken und die so vieles erwarten und erreichen wollen. Der Aussatz aus dem Evangelium entpuppt sich in diesem Kontext nicht nur als Corona, sondern auch als Lockdown. Nie waren mehr Jugendliche depressiver und selbstmordgefährdeter als in dieser Zeit.
Dass Ihr aber nicht ganz den Mut und Glauben verloren habt, davon habt Ihr auch geschrieben (wiederum anonymisiert):
Konfirmandin 5 schreibt:
Was werde ich anders machen, wenn Corona überstanden ist?
Wie viel ich anders machen werde und warum ich es anders machen möchte, weiß ich noch nicht genau. Ich denke, ich möchte versuchen offener zu sein, auf Menschen zuzugehen und mutig an neue, unbekannte Dinge ranzugehen.
Was hat das mit meinem Glauben zu tun?
Vor der Pandemie hätte ich nicht gedacht, dass es so etwas gibt und das so etwas so schlimm sein könnte und sich so in die Länge ziehen kann. So lange im Lockdown zu sein war neu und ungewohnt. Währenddessen habe ich aber nicht wirklich viel geglaubt. Ich hatte Hoffnung wieder Sport machen zu dürfen und wieder richtig in die Schule zu gehen aber ich habe nicht geglaubt und ich glaube auch immer noch nicht, dass es mal wieder so wie vor der Pandemie wird. Ich glaube es kann besser werden. Ich hoffe dass es besser wird. Diese Pandemie hat so viel bewirkt!
Konfirmand 6 schreibt:
Was werde ich anders machen, wenn Corona überstanden ist?
Wir werden endlich nach Berlin fahren. Ich freue mich, dass es eine Klassenfahrt geben wird. Ich werde mich mit Freunden treffen und ins Kino gehen.
Mir hat die Coronazeit gezeigt, dass soziale Kontakte wichtig sind und wir zusammenhalten müssen – nicht gegeneinander agieren. Ich denke, dass ist das, was Jesus sich für uns Menschen wünscht.
Konfirmand 7 schreibt:
Wenn Corona irgendwann mal überstanden ist, würde ich versuchen deutlich mehr zu unternehmen, um auch auf diese Art mein Leben zu genießen.
Ich hoffe darauf, dass Corona irgendwann kein Problem mehr darstellt und wir lernen mit der Situation umzugehen. Mein Glaube und mein Vertrauen in Gott halfen mir bisher durch die schwere Coronazeit und werden mich auch weiterhin dabei unterstützen optimistisch in die Zukunft zu blicken. So verbinde ich die Hoffnung des Endes von Corona mit meinem Glauben.
Konfirmandin 8 schreibt:
Was werde ich anders machen, wenn Corona überstanden ist?
Ich denke, wenn Corona überstanden ist, werde ich viele Dinge anders machen. Zum Beispiel werde ich mehr Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen und dankbarer dafür sein, dass es ihnen im Allgemeinen gutgeht und sie gesund sind. Corona hat mir gezeigt, dass so etwas nicht selbstverständlich ist.
Was hat das mit meinem Glauben zu tun?
Ich denke, diese Zeit hat viel mit dem Glauben zu tun. Sie kann zum Beispiel die Hoffnung sein, die wir dadurch bekommen. Sie hilft uns unsere Ängste zu überwinden und positiv in die Zukunft zu schauen. Oder aber auch die Gemeinschaft und Nächstenliebe, die ich erfahren habe. Ich weiß dadurch, dass ich nicht allein bin.
Geschwister im Herrn, etwas ist also doch in Euch gewachsen: Familiensinn, Hoffnung und auch ein klein wenig Glauben. Das schenkt mir Hoffnung: Hoffnung, dass Ihr nicht ein verlorener Jahrgang seid, sondern ein besonderer Jahrgang. Hoffnung, dass Ihr den Glauben als eine Kraft spüren könnt, die Euch stärkt, wenn Ihr am Ende mit Euren Kräften seid.
Vielleicht ist das heutige Evangelium ein Hinweis darauf, dass von 10 Unterwiesenen zumindest einer oder eine Pfarrer oder Pfarrerin werden könnte. Wer weiß? Ich bin gespannt und versuche ja jedes Jahr, einen potentiellen Nachfolger unter den Konfirmierten für das Theologiestudium zu begeistern. Das allein liegt in Gottes Hand, wie so vieles, was wir nicht beeinflussen können. Geht Euren Lebensweg, probiert Euch aus, sammelt Erfahrungen – Erfolge wie auch Rückschläge. Und seid dabei gewiß: Wo auch immer Euch Euer Lebensweg hinführen wird, Gott wartet schon auf Euch. Wie auch jetzt Christus uns an seinem Tisch willkommen heißen möchte, wenn wir nun miteinander das Heilige Abendmahl feiern wollen. Im Namen Jesu Christi, AMEN!
Pfarrer Torben W. Telder
- es gilt das gesprochene Wort! -
- Predigten
von Prälat Bernd Böttner - Text: Markus 6, 35 - 44
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Liebe Gemeinde!
Zwei Fische und fünf Brote, geteilt durch 5000: Selbst wenn die Fische groß waren und das Brot auch – da hat nicht jeder etwas abbekommen. Schon früh ist man deshalb darauf gekommen, dass die 5000 wohl selbst Proviant in der Tasche gehabt haben müssen. Viele von ihnen haben vielleicht sogar gelacht, als sie gesehen haben, wie die Jünger mit ihrer schmalen Kost durch die Reihen gegangen sind und hier und da ein bisschen verteilt haben.
Andere waren gerührt von dieser hilflosen Geste. Und dann haben sie ausgepackt, was sie dabeihatten: Fladenbrot, getrockneten Fisch, Oliven, Datteln, Feigen und so weiter. Sie haben davon in der Runde weitergegeben. Am Ende war niemand mehr hungrig.
Das Wunder war also gar nicht so spektakulär, wie viele immer denken?
So einfach ist es dann aber wieder doch nicht, Menschen zum Teilen zu bewegen. Denn wenn es so einfach wäre, sähe es anders aus in unserer Welt. Dann wären die Güter der Erde anders verteilt. Dann würden nicht wenige Reiche viel und viele Arme wenig besitzen. Dann würde jeder genug zum Leben haben. Also ist es doch ein gar nicht so kleines Wunder, dass die vielen ihre Brotbeutel öffnen und das Mitgebrachte schwesterlich und brüderlich teilen, so dass alle etwas bekommen und sogar satt werden.
So betrachtet beginnt das Wunder in Wahrheit sogar schon viel früher: Ein Wunder ist nämlich auch, dass überhaupt so viele Männer, Frauen und Kinder gekommen sind, um das Evangelium zu hören. 5000 sind gekommen, um Jesus zu hören und zu erleben. 5000, die hoffen, Nahrung für den Hunger ihrer Seele zu bekommen. 5000, in denen die Begeisterung für eine neue Zeit brennt. Das ist alles andere als normal. Das allein ist für mich schon ein Wunder.
Das ist ja unter Corona-Bedingungen völlig unvorstellbar, aber stellen wir uns das einmal konkret vor: 5000 Menschen kommen zusammen zu einem Gottesdienst, der sich über mehrere Stunden, ja sogar einen ganzen Tag lang hinzieht: Die Menschen sind begeistert. Sie vergessen nicht nur Essen und Trinken, sondern auch das Nachhause Gehen. Es gibt nur wenige Situationen im Leben, in denen wir uns so verhalten. Am ehesten, wenn wir richtig verliebt oder von einer Sache total begeistert sind.
In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig, darauf zu schauen, wer eigentlich was tut und wem in der Geschichte welche Aufgabe zugewiesen wird.
Die Jünger möchten, dass Jesus die Menschen wegschickt. Sie sollen in den Dörfern ringsum ihr Glück versuchen und sich etwas zum Essen besorgen.
Die Jünger aber bekommen von Jesus den Auftrag, sich um die Menschen zu kümmern: Gebt ihr ihnen zu essen!
Die 5000 sind keiner Einladung zu einem Vortrag mit anschließendem Sekt und Häppchen gefolgt. Sie kamen ungebeten, wenn auch nicht ungelegen. Die Jünger ergötzen sich nicht an der Menge, sondern beginnen, sich Sorgen zu machen. Wie kommen die Leute nach Hause? Wie bekommen sie etwas zu essen? Die Jünger handeln aus Verantwortung, darum fordern sie Jesus auf: Lass das Volk gehen! Schick sie weg, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Nahrung finden. Hier gibt es nichts und wir haben nichts!
Jesus aber entlässt weder die Menschen, noch entlässt er die Jünger aus ihrer Verantwortung. Sie sollen sich zuständig wissen. So könnte er gesagt haben:
Nehmt Euch ein Beispiel an den 5000!
Sie sind nicht zuhause geblieben. Sie sind gekommen. Sie erwarten, dass einer sich für ihr Schicksal interessiert. Sie suchen, was ihr Leben ausfüllt. Sie wollen Orientierung, ja, sie suchen das Heil. Da könnt Ihr sie doch nicht wegschicken, nur weil das Problem zu lösen ist, wie denn die Menschen satt werden.
So gibt Jesus den Jüngern einen Auftrag: Geht hin und schaut nach – oder kürzer: Schaut hin!
Schaut hin! Schaut genau hin! Welche Ressourcen habt Ihr?
Jesus lässt sich nicht die Verantwortung zuschieben. Er setzt auf die Gemeinschaft, auf die Gemeinschaft der Jünger und die Gemeinschaft der 5000.
Die Aufforderung „schaut hin!“ führt die Jünger dazu, ihre eigenen Möglichkeiten und die der 5000 zu entdecken und die Gemeinschaft eines großen Mahles.
In überschaubaren Tischgemeinschaften sollen sie sich auf dem Gras lagern.
So entstehen aus einer großen, kaum zu überschauenden Menge überschaubare Gemeinschaften, in denen untereinander Beziehungen aufgenommen werden können. Da kann ich mir Gesichter merken. Da kann ich ins Gespräch kommen. Da kann ich zuhören und erfahren: Welche Not und welche Möglichkeiten haben denn jede und jeder Einzelne? Da werden aus einer nicht greifbaren Zahl von Hungernden Menschen, deren Not ich konkret wahrnehmen kann, deren Not mich wirklich anrührt. So kann die Bereitschaft wachsen, mich auf die andere und den anderen einzulassen und mit ihr und ihm zu teilen, was ich habe.
Die Jünger erscheinen hier schon in der Aufgabe, die ihnen bald zufallen wird, nämlich Gemeinschaften und Gemeinden zu leiten. Zu dieser Aufgabe gehört es, genau hinzuschauen, in welcher Situation Menschen sind, was sie zum Leben benötigen – und dann erst zu predigen, zu beten, zu segnen, zu heilen, zu taufen, Abendmahl zu feiern – dafür zu sorgen, dass Menschen das zum Leben bekommen, was sie zu einem guten Leben benötigen, so dass die einen von ihrem Überfluss abgeben und die anderen davon erhalten.
Das „schaut hin!“ richtet sich bis heute an uns als bleibende Aufforderung, genau hinzusehen, Visionen zu trauen, eigene Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. Das „schaut hin!“ fordert uns auf, in der Wahrnehmung der oft unlösbar erscheinenden Probleme nicht hängen zu bleiben, sondern die Augen zu öffnen, für das was wir selbst tun können, für andere und in der Gemeinschaft mit ihnen.
Nach den ökumenischen Kirchentagen 2003 in Berlin und 2010 in München sollte der
3. Ökumenische Kirchentag im Mai dieses Jahres in Frankfurt über Himmelfahrt mehr als 100.000 Menschen zusammenführen, um gemeinsam zu singen, zu feiern, zu beten, zu diskutieren, um gemeinsam hinzuschauen auf das Leben in Frankfurt, einer ökumenischen, multi-religiösen, und multi-kulturellen Stadt, einer Stadt mit Reichtum und Armut, einer Stadt, die Dreh- und Angelpunkt ist für so viele Menschen, die weltweit unterwegs sind.
Ich habe mich riesig gefreut auf dieses große Zusammentreffen von jungen und alten Menschen, von Menschen aus den evangelischen Kirchen und der katholischen Kirche, von Menschen aus den vielen in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zusammengeschlossenen Kirchen und Gemeinden sowie aus den vielen gerade in Frankfurt ansässigen Migrationsgemeinden. Ich habe mich gefreut auf den Dialog mit Juden, Muslimen und Menschen vieler anderer Religionen. „Schaut hin!“, wer und was Euch da begegnet in dieser Stadt! Das war unsere Bitte, das war unsere Hoffnung.
Seit mehreren Jahren bereiten viele Menschen diesen Kirchentag vor. Ich selbst vertrete im Gemeinsamen Präsidium des Ökumenischen Kirchentages meine Landeskirche und könnte ein Lied davon singen, wie viele Menschen seit Jahren ihre ganze Energie und ihr Knowhow eingebracht haben und einbringen.
Es ist ein Jammer, der zum Himmel schreit, dass wir diesen Kirchentag nicht mit vielen Menschen in Frankfurt feiern können. So wie es ein Jammer ist, wie viele Menschen an Covid19 erkranken und versterben, wie viele seit Wochen und Monaten auf den Krankenstationen, in den Seniorenheimen, in den Pflegediensten Schwerstarbeit leisten, unter welchen Bedingungen Kinder unterrichtet und in Kitas betreut werden, wie viele unter den wirtschaftlichen Folgen zu leiden haben, unter dem Beschäftigungsverbot, unter den Kontaktbeschränkungen und unter der Einsamkeit. Es geht nicht darum zu unterscheiden, welches Leid kleiner oder größer ist, das wird ohnehin sehr individuell erlebt und ausgehalten.
Und es ist sicher auch wichtig und gut zu erwähnen, wie viele zur Hilfe bereit sind, andere unterstützen, was da an Kreativität in den letzten Monaten gewachsen ist, welche neuen Möglichkeiten entdeckt wurden und genutzt werden, Gemeinschaft zu ermöglichen. Was an Kreativität und Wissen zusammengekommen ist, um einen Impfstoff zu entwickeln und was das für ein Geschenk ist, dass er schon vorhanden und einsetzbar ist.
Für das alles bin ich unendlich dankbar. Aber das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, auf was wir alles verzichten müssen – und wir sollten uns die Trauer und die Klage darüber nicht verbieten. „Schaut hin!“ Schaut auf das Leid.
„Es ist nicht vorbei. Ein Jahr nach dem Terroranschlag von Hanau erzählen Überlebende und Angehörige der Opfer ihre Geschichte.“ So titelte das Zeit-Magazin in der vorletzten Woche.
Die Bilder, die ich gesehen habe, und die Geschichten, die ich gelesen habe, dauern mich, um es mit einem alten Wort zu sagen, das auch Luther verwendet hat , um zum Ausdruck zu bringen, welche Reaktion das Leid der Menschen in Jesus hervorgerufen hat. Menschen trauern und leiden. Sie benötigen unser Mitgefühl, unser Mitleiden, auch wenn wir damit nicht ungeschehen machen können, was geschehen ist. Sie benötigen umso mehr unsere Solidarität, unsere Gebete.
„Schaut hin!“ heißt aber auch, ganz genau auf die Ursachen von Hass und Gewalt zu schauen, nicht wegzuschauen, wenn die Würde des Menschen in Frage gestellt wird, sich nicht wegzuducken, wenn es darum geht, das Lebensrecht aller in Freiheit und Gerechtigkeit durchzusetzen.
Auch darum ist so wichtig, dass der 3. Ökumenische Kirchentag stattfindet, ganz anders als geplant, digital und dezentral, von Frankfurt ausgehend – so wie das im Mai möglich sein wird – und mit einem deutlichen ökumenischen Signal.
Er beginnt am Himmelfahrtstag mit einem ökumenischen Gottesdienst unter freiem Himmel, vom Fernsehen übertragen. Am Samstag werden den ganzen Tag über digitale Foren geöffnet sein. Abends werden konfessionelle Gottesdienste gefeiert – mit Abendmahl oder Eucharistie – in denen die anderen jeweils ökumenisch sensibel mitfeiern.
Ein ökumenisches Signal soll von diesen Gottesdiensten ausgehen, das Gemeinsame Präsidium hat es so beschrieben:
„Als Christinnen und Christen erfahren wir die Gegenwart Jesu Christi an allen Orten, an denen sich Menschen in seinem Namen versammeln. Wir glauben gemeinsam, dass Jesus Christus selbst uns im verkündigten Wort des Evangeliums anspricht. Wir vertrauen darauf, dass Jesus Christus – wie er uns zugesagt hat – in der Feier des Abendmahls und in der Feier der Eucharistie wahrhaft und wirksam gegenwärtig ist. Wir verkündigen seinen Tod für uns; wir glauben, dass er auferstanden ist und lebt; wir hoffen, dass er wiederkommt zum Heil der Welt. Gemeinsam feiern wir dieses Geheimnis unseres Glaubens und lassen uns von ihm zu seinem Gedächtnis sagen: „Schaut hin und erkennt mich beim Brechen des einen Brotes und in der Gabe des einen Bechers für euch alle. Dann geht in meinem Geist verwandelt und gestärkt in die Welt.“
Soweit das Gemeinsame Zeugnis, das vom Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt ausgehen soll.
Ein Stück Brot und ein Schluck Wein verdeutlichen wie die fünf Brote und die zwei Fische:
Wo Menschen sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden, sondern im Vertrauen auf Gott ihr Leben leben und mit anderen teilen, da geschehen Wunder. Da geschieht das Wunder, das alle anderen Wunder hervorbringen kann: Gott selbst bringt Menschen an einen Tisch und lässt sie einander als Schwestern und Brüder erleben.
Ein kleines Stück Brot, ein Schluck aus dem Kelch, das ist nicht viel, das ist nicht zu vergleichen mit einem 4-Gänge-Menue. Ein kleines Stück Brot und ein Schluck aus dem Kelch können aber einen großen Hunger stillen, den Hunger danach, geliebt, geachtet, wertgeschätzt, gestärkt und getröstet zu werden.
Und auch das ist ein Leiden in dieser Pandemie, dass bei aller Ermutigung, die für mich von digitalen Abendmahlsfeiern ausgehen, ich mich danach sehne, irgendwann wieder Brot und Kelch in großer Gemeinschaft zu mir nehmen zu können. Amen
- es gilt das gesprochene Wort! -