Liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
vor allem aber Sie, liebe neugewählte Älteste und Diakone,
vom heutigen Tage an werden Sie mit dem Dienst der Gemeindeleitung unserer Wallonisch- Niederländischen Kirchengemeinde hier in Hanau betraut. Da ist es nur sinnvoll, dass man sich der biblischen Wurzel vergewissert. Ich habe lange gesucht, einen passenden Text zu finden. Einen Text, der unsere Gedanken und unsere Gefühle treffend umschreibt, der aber auch die Aufgaben und Herausforderungen umreißt, welche vor uns liegen.
Ein Blick in die Bibel eröffnet uns einen bunten Strauß von möglichen Bildern für die Ämter in der Kirche. Zum einen ist dort das Bild des Menschenfischers. Bei der Berufung des Petrus am See Tiberias ruft Christus Petrus weg vom Netz und stellt ihn in die Nachfolge des Menschenfischers. Menschenfischer klingt so ähnlich wie Seelenfänger, die Kirchengeschichte hat ihre Erfahrungen damit. Aber für Jesus war der Begriff des Menschenfischers noch unbelastet: Menschen zu sammeln und zu begeistern, auch dann und wann zusammenzuhalten. Menschen in den Abgründen und Tiefen menschlichen Lebens eine neue Perspektive schenken – all dies verbirgt sich hinter diesem Bild.
Und wenn ich schon bei der Fischerei bin, dann ist der Sprung zur Seefahrt auch nicht mehr weit. Dieses erinnert mich an ein modernes Kirchenlied aus den 80ern des vergangenen Jahrhunderts, welches wahrscheinlich viele unter uns kennen: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt.“ Melodisch ist es für mich als Kirchenmusiker ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Aber einige Strophen enthalten doch treffende Aussagen. Die Höhen und Tiefen bringt die erste Strophe auf den Punkt, wenn es dort heißt: „Das Schiff, es fährt durch Sturm, bedroht durch Angst, Not und Gefahr, Verzweiflung, Hoffnung, Kampf und Sieg“. Ein Blick in die Geschichte unsere Gemeinde bestätigt dies.
Noch weitere Bilder finden sich in der Bibel, die man auf Leitungsfunktionen übertragen kann. Zum einen ist dort das Bild des Weinbauern, der den Weinberg hegt und pflegt – für jeden Weinliebhaber natürlich ein sehr ansprechendes Bild. Oder wir finden den Bezug auf die Gärtnerei, wenn es um Pflanzen, Pflegen und Ernten geht. Wer einen grünen Daumen hat, wird sich hier auch wiederfinden können.
Und dann gibt es ein Bild, welches mir persönlich sehr zusagt. Wenn Sie vor zwei Wochen hier in unserem Gottesdienst am Sonntag Misericordias Domini waren und sich erinnern, dann habe ich genau darüber gepredigt: das Bild des Guten Hirten.*) Bezog es sich am Gut-Hirten-Sonntag auf Christus, den Guten Hirten, so möchte ich dieses Bild heute auf die Hirten der Gemeinde beziehen, auf all jene, die Verantwortung für die gesamte Gemeinde übernehmen – in unserem Fall, außer den beiden Pfarrern, die Konsistorialen. Schon Petrus wurde in dieses Hirtenamt berufen und so hören wir das Evangelium aus Johannes 21, 15-18+19b. Liebe Schwestern und Brüder im HERRN, Bilder haben ihre eigene Sprache. Wenn man sie mit Ruhe und Zeit betrachtet, fangen sie an zu erzählen. Geschichten und Erinnerungen werden lebendig. Denn Bilder prägen sich tief ein. Und unsere Erinnerung ist überwiegend bildhaft. „Der gute Hirte“ ist ein solches Bild, das viele Menschen nachhaltig beeindruckt hat.
Aber was ist das Faszinierende daran, gerade im Blick auf die Aufgaben von Kirche und Kirchenleitung? Ich erinnere mich gerne an meine Zeit im Kindergottesdienst. Da wurde uns dieses Bild anschaulich vor Augen geführt: wie der Hirte abends seine Herde zusammentreibt und auf einmal merkt, dass ein Schaf fehlt, und wie er dann den Weg des Tages zurückgeht, um das verlorene zu suchen. Mir tat dieses Schaf leid, das zurückgeblieben war und nun irgendwo in der Einsamkeit, in Kälte und Angst verharrte. Und ich habe dann das Glück und die Freude des Hirten mitempfunden, als er es schließlich findet, auf seine Schultern nimmt und behutsam und liebevoll zur Herde zurückträgt.
Ja, der gute Hirte, der sich um seine Schafe kümmert, um jedes einzelne. Dieses Bild prägte sich fest in mir ein und wurde immer wieder lebendig, nicht zuletzt ist es deshalb auch ein Prüfstein für meine Arbeit als Gemeindepfarrer. Im Konfirmandenunterricht musste ich dann den Psalm 23 auswendig lernen und man kann manche Worte nicht oft genug wiederholen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.“ Denn dieses Bild kann zu einem verheißungsvollen Wegweiser werden: „Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.“ Und selbst in den finsteren Tälern wird er da sein - mit seinem Trost und mit seiner Hilfe. Vielleicht haben Sie ähnliche Erinnerungen an das Bild des Hirten und durch diese Erinnerung hindurch, verbunden mit unserer Lebenserfahrung, beginnt das Bild wieder zu sprechen, uns neu anzusprechen. Bilder haben ihre eigene Sprache.
Die Sprache, die zu dem Bild vom guten Hirten gehört, ist die Sprache der Liebe. Es will nichts anderes ausdrücken, nichts anderes unserem Fühlen und Denken einprägen, nichts anderes in unserem Herzen gewiss machen als Gottes Liebe zu uns. „Ich bin für dich da“, sagt es. „Du bist mir vertraut. Ich kenne dich, und du kennst mich. Ich weiß um dein Glück und um deine Sorgen. Ich kann und will dich nicht lassen.“
Und das Bild erzählt weiter: „Schau, mir geht es wie einem Hirten, der seine Schafe lieb hat, der ganz eng mit ihnen verbunden ist, der sie kennt – jedes einzelne. Der um das weiß, was sie brauchen. Der mit ihnen geht. Der so zu ihnen gehört, dass er bereit ist, sein Leben für sie zu geben.“ Es ist eine einzigartige Liebe, die sich im Bild von dem guten Hirten auftut: die Liebe, die der goldene Bogen ist, der Himmel und Erde umspannt; die Liebe, die die Sehnsucht nach Geborgenheit stillt; die Liebe, die einen Namen trägt: Jesus Christus – den treuen Heiland, der mit seinem Leben für mich einsteht, der mein Leben zu seiner ureigensten Sache macht.
Liebe Gemeinde, in diesem Gottesdienst führen wir nun die neuen Konsistorialen in ihr Amt ein. Damit wird die Gemeinde eine neue Leitung, also neue Hirten der Herde Gottes bekommen. In unserem Evangelium wird Petrus gleich drei Mal gefragt, ob er es ernst meint. Dies bejahend bekommt er von Christus den Hirtenauftrag, zunächst für die Lämmer, dann für die Schafe. Vor einer Wahl muss auch mancher mehrmals gefragt werden, ob er kandidieren möchte.
Und das ist auch gut so, denn nichts wäre schlimmer als ein leichtsinnig dahergesagtes Ja, welches sich nicht der Konsequenzen einer solchen Entscheidung bewusst ist. Mit Ihrem Ja erklären Sie sich bereit, Zeit und Kraft für die Gemeinde zu opfern. Sie müssen ab heute Entscheidungen in der Öffentlichkeit vertreten und werden mit Sicherheit – so ist zumindest meine Erfahrung – auch dann und wann einmal unpopuläre Beschlüsse nach außen hin vertreten müssen. Sind wir ehrlich: Ehrenamt bedeutet nicht immer viel Ehre! Umso mehr freut es mich aber, dass es immer wieder Menschen gibt, die es ernst meinen und sich auf den gemeinsamen Weg machen, zum Wohl der Gemeinde, aber auch aus der Verpflichtung des Glaubens heraus.
Der Dienst des Konsistoriums ist umfangreich, ich werde später die Aufgaben umreißen. Das wichtigste für mich aber ist: Neben dem Pfarrdienst berührt und begleitet auch der Dienst eines Ältesten oder eines Diakons das Leben der Menschen in seinen unterschiedlichen Bezügen und Bereichen. Wenn ich nach einem roten Faden suchen müsste, der den Dienst des Konsistoriums in seiner Gesamtheit durchzieht, dann ist es dieses eine für mich: die Sprache zu verkündigen, die das Bild vom guten Hirten spricht; die Liebe zu bezeugen, die stets den anderen im Auge hat; den guten Hirten vor Augen zu stellen, der sich uns ganz hingibt und mit uns auf dem Weg ist. Und dieses Zeugnis muss klar, es muss überzeugend sein, muss von uns selbst weg auf IHN hinweisen.
Die Sprache der Liebe verlangt ein klares Zeugnis. Sie kann nicht schweigen. Sie sehnt sich danach, dass sie den Weg in die Herzen der Menschen findet. Und sie hat so viel Kraft, dass sie da, wo sie bezeugt wird, die Herzen erleuchtet, so dass sie froh und zuversichtlich und gewiss werden: „Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.“ Und ich bleibe IHM auf der Spur, ich folge IHM – IHM, der stets vorangeht, wohin auch immer der Weg mich führt.
Als von der Gemeinde gewählte Konsistoriale haben Sie das Vertrauen und damit auch die Aufgabe, den Weg dieser Kirche mit zu gestalten und an den Kreuzungen der Entscheidungen eine hoffentlich richtige Richtung einzuschlagen. Und in diesem Zusammenhang möchte ich auf diesen einen Vers hinweisen, der für mich am heutigen Predigttext ein sehr wichtiger ist.
Johannes schreibt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hin wolltest; wenn du aber alt wirst, wirst du deine Hände ausstrekken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hin willst.“ Dieser Vers lässt sich meines Erachtens dreifach verstehen. Zum einen beschreibt er eine menschliche Realität: Wir bleiben nicht immer jung und dynamisch. Der Mensch wird älter, hinfällig, auf die Hilfe anderer angewiesen. Eben noch auf der Höhe von Kraft und Tatendrang, kann es damit von jetzt auf gleich aus sein und als Pflegefall ist man nicht nur auf die Hilfe anderer angewiesen, sondern ihr leider manches Mal auch ausgeliefert.
Johannes dagegen bezieht diesen Vers auf den Tod des Apostel Petrus, der eben in Ketten gelegt nach Rom geführt wird. Bibelexegesen können sich an dieser Stelle nicht einigen, ob dies evtl. eine spätere Einfügung ist.
Ich möchte nun dieses Bild auf Gemeindeleitung beziehen. Das Hirtenamt einer Gemeinde ist immer nur ein Amt auf Zeit. Pfarrer kommen und gehen, und auch Konsistoriale können ihren Posten nicht auf ewig behalten. Manch einer unter den Mitgliedern des Großen wie Diensttuenden Konsistoriums ist schon 30 bis 40 Jahre Teil dieser Gremien. Die Zeit hat sich verändert, Dinge werden heute anders betrachtet als kurz nach dem Krieg. Auch scheint mir die Zeit vorbei zu sein, in der es sich gelohnt hat, sich konfessionellen Grabenkämpfen hinzugeben. Die Welt schreit nach einem christlichen Zeugnis der Liebe Gottes, nicht nach einem Kampf zwischen unterschiedlichen Theologien und Traditionen.
Eine Gemeinde zukunftsfähig zu machen, bedeutet, sie ansprechend für die Menschen zu machen, für die diese Zukunft Gegenwart werden wird. Für das Konsistorium heißt dies, sich mit den Bräuchen und Traditionen der Gemeinde immer wieder im Sinne einer anhaltenden Reformation auseinander zu setzen. In der Konsequenz kann dies an mancher Stelle auch bedeuten, dass gerade die Älteren sich vielleicht vor den Kopf gestoßen fühlen und erkennen, dass die Gemeinde sich in eine Richtung entwickelt, die für sie nur schwer nachvollziehbar ist. Das aber ist die Aufgabe eines Konsistoriums, denn es wäre ein schlechter Hirte, der seine Herde auf einer abgegrasten Weide um jeden Preis halten würde, nur weil es dort immer so schön war – die Herde würde verhungern.
Liebe Gemeinde, liebes Konsistorium, lasst uns diesen Anspruch einer reformierten Gemeinde bewahren. Lasst uns Menschen unbedingter Hoffnung sein, damit wir stark werden für die Aufgaben und Herausforderungen hier und jetzt, nicht weltfremd, sondern mitten im Leben. Denn dazu sind wir miteinander berufen, die Fülle des Lebens und das Vertrauen der Liebe zu leben und einander zu stützen, zu leiten und zu bewahren, wie es uns der Gute Hirte, welcher ist Christus, aufgetragen hat. Amen.
Torben W. Telder, Pfr.