1938, 1943, 1948, 1953, 1963 und 1988 wurden Sie hier oder in einer anderen Kirche konfirmiert, die beiden erstgenannten Jahrgänge noch in der intakten Doppelkirche, 1948 und 1953 wahrscheinlich in der Nußallee, ab 1963 und 1988 dann hier in der wieder aufgebauten Kirche. Vieles wurde damals noch auswendig gelernt.
Das Abfragen war für viele eine heftige Herausforderung. Die Eltern waren sehr beschäftigt und hatten große Sorgen, die meistens gar nichts mit Kirche zu tun hatten: „Kommt Krieg, wie überstehen wir den Krieg, was soll nur nach dem Krieg werden?“
Dann wurde langsam das Wirtschaftswunder spürbar und schließlich war es keine Frage mehr, ob man in den Urlaub fährt, sondern nur wohin. Zwischen dem ersten und letzten Jubeljahrgang liegen 50 Jahre, statistisch 2 Generationen, aber im Erleben der Umstände liegen auch Welten dazwischen.
Damals waren Sie sehr jung, Sie hatten das Leben vor sich. Manche mussten noch in den Krieg, andere machten eine Lehre, damals kein einfaches Unterfangen. Die Werkzeuge mussten je nach Lehrberuf mitgebracht werden, samstags wurde noch gearbeitet. Mancher durfte und konnte dann studieren.
Viele Jahre sind seither vergangen. Sie haben manches erlebt. Dazu gehört auch die Erfahrung, dass an den Klassentreffen der eine oder die andere nicht mehr teilnehmen konnten. Und so fehlen auch einige aus den Konfirmationsjahrgängen. Die Krankheit war zu heftig oder gar der Tod, der so plötzlich kam. Auf Ihrem Lebensweg gab es Höhen und Tiefen.
Aber zurück zu Ihrer Konfirmation. Damals ähnelten sich die Geschenke: Taschentücher, ein neues Kleid, lange Hosen, eine goldene Uhr, vielleicht ein Fahrrad oder das Gesangbuch. In den letzten Jahren kam dann immer mehr das Geld dazu, nachdem man davon absah, 14-Jährigen schon eine ganze Aussteuer oder Teile davon zu schenken.
Ein Geschenk haben Sie aber alle bekommen. Die meisten werden es wohl ausgepackt haben, vielleicht der eine oder die andere auch heute noch nicht. Der Inhalt des Geschenkes hat mit einem Satz aus Psalm 27 zu tun, den ich eben als Predigttext vorgelesen habe. Dort heißt es: „Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“
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Der Herr ist meines Lebens Kraft – bei jeder Konfirmation werden die Jugendlichen an diese besondere Kraftquelle erinnert. Sie ist wie ein wertvolles Geschenk, das Sie alle, wir alle bei unserer Konfirmation bekommen haben. An Pfingsten dieses Jahres haben wir unsere Konfirmanden und Konfirmandinnen ermutigt für ihren Lebensweg, das ist z. T. Ihre Enkelgeneration.
Auch diese Jugendlichen haben jenes besondere Geschenk Gottes mitbekommen. Es ist heute eine andere Zeit als damals. Aber damals wie heute brauchen Jugendliche eine Lebenskraft. Damals wie heute müssen sich Jugendliche einen Platz in der Gesellschaft suchen, erarbeiten. Aber auch sich selbst müssen sie annehmen und aushalten.
Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen? Was für eine Frage? Gab es Zeiten in Ihrem Leben, in denen Sie sich gefürchtet haben, Grauen hatten vor jemand? Angst hatten?
Vielleicht kommen Ihnen jetzt Szenen in den Kopf: die Wirtschaftskrise, die Bombennächte, die Sorge um das tägliche Brot oder später dann der Chef, vor dem es Ihnen gegraut hat, oder der Kollege, der nur schlecht über Sie gesprochen hat, oder die Schwiegermutter, die Sie mitgeheiratet hatten – die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Ja, auch auf unserem Lebensweg gibt es Menschen, vor denen es uns gegraut hat. Deshalb stellt der Beter des Psalms diese Frage: „Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“
Da klingt ganz viel Vertrauen durch. Da wird hörbar, da fühlt sich einer gestärkt und begleitet. In bösen Zeiten hat er Schutz erfahren. Dieser Beter hat dieses besondere Geschenk offensichtlich ausgepackt. Er vertraut Gott. Er kennt seine Lebenskraft. Er hat erfahren, dass die nächsten Menschen ihn verlassen können, aber auf Gott kann und konnte er immer setzen. Ist das nicht ein wunderbares Geschenk? Dieses unausgepackt oder unbeachtet zu lassen, das wäre wirklich mehr als schade!
Dieser 27. Psalm ist an vielen Stellen ein wunderbares Vertrauenslied. Wenn Sie jetzt, wenn ich jetzt meinen Psalm, meinen Lebenspsalm aufschreiben würde, welche Töne wären da zu hören? Es war wunderbar, ich habe viel erlebt. Es war unsagbar schwer, ich bin eigentlich nur in Sackgassen gelandet. Der Beruf hat mich, die Familie war und ist.... Es war, es ist....
Meistens sind Lebensmelodien in Dur und in Moll zu hören. Es gab schwere Zeiten und es gab gute Zeiten. Gab es auch Zeiten, in denen Sie hätten sagen können: „Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“
In dieser fast rhetorischen Frage kommt für uns eine wunderbare innere Freiheit zur Sprache. Da ist einer, der fühlt sich von Gott gestärkt, er kann frei in die Welt schauen und braucht sich vor niemandem zu grauen. Das ist für mich im wortwörtlichen Sinne eine evangelische Freiheit.
Wenn ich mir Jesu Weg anschaue, dann will er uns genau in diese Freiheit führen. Er ist für uns den Weg vom Tod zum Leben gegangen. Gott hat so deutlich gemacht, dass er uns eben nicht auf unsere Versäumnisse, auf unsere Schuld und unser Versagen festlegen will, auch nicht auf unsere Niederlagen oder Höhenflüge.
Wieder denke ich an das besondere Geschenk, das Gott für uns alle bereithält. Gott ist leidenschaftlich daran interessiert, dass wir dieses Geschenk auspacken, gebrauchen, nicht in der Ecke verstauben lassen. Gott will, dass wir seine Lebenskraft „anzapfen“ und im Alltag in den Höhen und Tiefen spüren.
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Gott hat uns kein Leben versprochen, wie es uns die Werbung verspricht. Wir haben es alle wohl schon erlebt: Tiefen können nicht umgangen werden, sie gehören dazu. Aber Gott hat Ihnen bei Ihrer Konfirmation versprochen, mit Ihnen in Höhen und Tiefen unterwegs zu sein und zu bleiben, und Sie haben versprochen, auf Gott zu setzen. Hat dieses wechselseitige Versprechen auf Ihr Leben ausgestrahlt? Hatte es etwas von einem wunderschönen Geschenk?
Der Herr Ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen? Aus diesem gegenseitigen Versprechen kann eine große Freiheit erwachsen. Und für diese Freiheit ist es wunderbarerweise nie zu spät. Dieses Geschenk kann immer wieder neu entdeckt und ausgepackt werden.
Ich kann es im Namen Jesu auspacken, ob ich jetzt 14, 34, 64 oder 90 bin, ob ich gerade konfirmiert wurde oder ob ich schon auf einen bis zu 75 Jahren weiteren Lebensweg zurückschaue.
Heute werden Sie, liebe Jubelkonfirmanden und Jubelkonfirmandinnen, an diese besondere Lebenskraft, an dieses besondere Geschenk erinnert. Sie dürfen es neu entdecken. Die Lebenskraft Gottes können Sie immer neu in Anspruch nehmen. Glaube und Vertrauen: Auf diese Lebensquellen können wir immer neu setzen, egal, wie alt wir sind.
Zur Silbernen Konfirmation kommt heute nur eine Einzige, zur Goldenen Konfirmation kommen heute die meisten, dann werden es wieder weniger, da einigen das Laufen nicht mehr so leicht fällt.
Womit das zu tun hat? Vielleicht, weil die Menschen an den unterschiedlichen Stationen ihres Lebens stehen, von der Mitte des Lebens gen Ende. Wie wir es auch betrachten, es kann uns nachdenklich machen. Denn, dass die Zeit schnell vergeht, das wissen wir alle. Aber erst danach wissen wir, wie schnell sie dahingegangen ist.
In der Taufe hat Gott zu jedem Einzelnen von uns Ja gesagt. Dieses Ja wird er nicht zurücknehmen, ganz gleich, wie nahe oder entfernt wir uns in den vergangenen Jahren an ihn gehalten haben.
Carissimi, am Ende möchte ich es auch in diesem Jahr nicht unerwähnt lassen, dass einige von Ihnen in unserer Kirche auch im Konsistorium während der vergangenen Jahre Verantwortung übernommen haben. Aus Erzählungen weiß ich, dass Sie zur Zeit Ihrer Konfirmation mit Ehrfurcht auf die Konsistoriumsbänke geschaut haben und Angst hatten, etwas falsch zu machen.
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Wenn Sie heute auf die Bänke schauen, sehen Sie, dass es dort bunter, jünger, lebendiger ausschaut. Dass Sie keine Angst zu haben brauchen, etwas falsch zu machen, denn wir alle sind Menschen und Menschen können nun mal Fehler machen.
Die Zeiten haben sich geändert und ich hoffe, Sie haben sich mitgeändert. Auch diese Kirche hat sich verändert, Dinge sind nicht mehr so wie früher. Die Welt dreht sich und so lange dies sein wird, darf auch in der Kirche kein Stillstand sein. Wer nur die Asche vergangener Zeiten anbetet, vergisst, dass wir die kommenden Generationen mit Flammen der Begeisterung anstecken müssen, um unser kostbares Erbe zu erhalten. Dazu Ja zu sagen, ist Teil unseres reformierten Glaubens.
Beten wir und glauben wir, auch für unsere Wallonisch-Niederländische Kirche, die – so Gott will und wir alle tatkräftig mitanpacken – eine fantastische Zukunft haben wird. Wie es eben im 27. Psalm heißt: „Eines bitte ich vom HERRN, das hätte ich gerne: dass ich im Hause des HERRN bleiben könne mein Leben lang, zu schauen die schönen Gottesdienste des HERRN und seinen Tempel zu betrachten.“
Daran glaube ich, davon predige ich und dies bezeuge ich im Namen Jesu Christi. AMEN
Pfarrer Torben W. Telder, vdm
– Es gilt das gesprochene Wort –