Gottes Wort – Die Verkündigung
Hat Sie das Innere unseres Gotteshauses überrascht? Vielleicht vermissen Sie ja einiges, was Sie vonanderen Kirchen her gewohnt sind. Das ist nicht zufällig so.
Evangelisch-reformierte Christen haben ihre Kirchen seit alters her mit viel Liebe und Sinn für Schönheit gebaut. Dabei war es ihnen jedoch wichtig zu betonen, wie wenig der Mensch seinerseits Gott bringen kann, aber wie viel er dennoch von ihm erwarten darf. Diese Glaubenserfahrung findet Ausdruck in einer bewussten reformierten Zurückhaltung in Fragen der äußeren Gestaltung. Das Verbot von Gottesbildern in den Zehn Geboten wird sehr ernst genommen. Unser Kirchenraum will alle, die ihn aufsuchen, einladen, den lebendigen Gott durch sein Wort kennen zu lernen.
Darum liegt auf dem Abendmahlstisch die aufgeschlagene Bibel. Sie erinnert an Gottes Anspruch auf unser Leben, aber auch an seinen tröstenden Zuspruch. Die Kanzel gleicht einem nach oben geöffneten Kelch. Damit soll deutlich werden, worauf es im Gottesdienst ankommt, nämlich sich Gott ganz zu öffnen.
Der evangelisch-reformierte Gottesdienst ist so in besonderer Weise auf die Verkündigung des Wortes Gottes hin ausgerichtet und auf das Gebet.
Die Schweizer Reformation
Woher kommt diese besondere Orientierung im Kirchenbau und im Gottesdienst der Gemeinde? Sie ist in der Schweizer Reformation unter Huldreych Zwingli und Johannes Calvin zu suchen. Gleichzeitig mit den Geschehnissen um Luther in Mittel- und Norddeutschland kam es auch im Elsass und in den Schweizer Städten zu einer reformatorischen Erneuerung der Kirche. Beide reformatorischen Bewegungen weisen viele Gemeinsamkeiten auf. Einig war man sich vor allem darin, dass nur die Heilige Schrift Richtschnur und Maßstab des Glaubens sein kann. Darum hat man sich gegenseitig geistig befruchtet und gestärkt. Dennoch kam es bei den deutschen und schweizer Evangelischen zu unterschiedlichen theologischen Akzentsetzungen. Martin Luther war es wichtig, die dienende und liebende Nähe Gottes in Jesus Christus herauszustellen. Zwingli und Calvin dagegen betonten die Ehre Gottes und die Herrschaft Christi. Diese unterschiedliche Herangehensweise an das biblische Zeugnis hatte Folgen. Sie betrafen die Ordnungen der jeweils neu entstehenden evangelischen Kirchen, insbesondere aber den Gottesdienst und hier die Feier des Heiligen Abendmahls. Damals konnten diese Differenzen nur unzureichend geklärt werden. Kirchen, die Luthers Reformation zuneigten, nannten sich forthin evangelisch-lutherisch. Gemeinden, die den Ideen Calvins und Zwinglis folgten, wählten die Konfessionsbezeichnung evangelisch-reformiert.
Die Wallonisch-Niederländische Gemeinde schätzt sich glücklich, ein einzigartiges Porträt Calvins zu besitzen. Es zeigt den großen Theologen als jungen Mann. Johannes Calvin wurde 1509 im nordfranzösischen Noyon geboren. Seine akademische Laufbahn begann in Paris. Seine Hauptwirkungsstätte fand der Reformator in Genf. Dort ist er schließlich auch 1564 gestorben. Mit dem Buch „Institutio“ hat er die geistige Entwicklung der evangelisch-reformierten Kirche nachhaltig beeinflusst. Darin schreibt Calvin über das Ziel aller menschlichen Erkenntnis:
„Alle unsere Weisheit, sofern sie wirklich den Namen Weisheit verdient und wahr und zuverlässig ist, umfasst im Grunde eigentlich zweierlei: Die Erkenntnis Gottes und unsere Selbsterkenntnis.“ (Institutio, 1559; I 1,1)
Die Wallonisch-Niederländische Gemeinde
Die Gründerväter und -mütter der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde hatten sich den evangelischen Überzeugungen Zwinglis und Calvins angeschlossen. Sie entstammen den ehemaligen „Spanischen Niederlanden“. Heute sind das die Länder Belgien und Holland sowie der nordöstliche Teil Frankreichs.
In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts begann unter der Herrschaft Kaiser Karls V. in ihrer Heimat die Verfolgung protestantisch gesinnter Christen. Infolge dessen verließen zahlreiche Flamen und Wallonen ihre Heimat. Über England und Dänemark gelangten sie schließlich in den 1550er Jahren nach Frankfurt/Main. Aber auch auf diesen Stationen ihrer Flucht durften sie ihren Glauben nicht oder nur mit Einschränkungen ausüben. In England versuchte Königin Maria energisch die Reformation zurückzudrängen. In Dänemark und Frankfurt sollten nur die reformatorischen Auffassungen Martin Luthers Gültigkeit haben.
Ein gemeinsames Gotteshaus
Das größte und eindrucksvollste Bauwerk in der von den Emigranten gegründeten Hanauer Neustadt war ihre Kirche. Mit der Stadtgründung einher ging die Errichtung eines schlichten Bethauses aus Holz. Doch schon 1597 begannen Planungen für einen repräsentativen Kirchenbau. Dabei wurde von Anfang an der Sprachverschiedenheit zwischen Wallonen und Niederländern Rechnung getragen. Sie bildeten damals noch jede für sich eine Gemeinde. Verbunden waren diese Gemeinden in ihren Glaubensüberzeugungen und in der miteinander erlebten Geschichte. Dies sollte nun in einem gemeinsamen Gotteshaus zum Ausdruck kommen. Am 9. April 1600 erfolgte die Grundsteinlegung. In mühsamen Aufbaujahren nahm die später berühmte Hanauer Doppelkirche Gestalt an. Sie verfügte über zwei getrennte Innenräume und einen gemeinsamen Kirchturm. Am 29. Oktober 1609 konnte der erste Gottesdienst in der neuen Kirche gefeiert werden. Der größere Kirchenraum diente der Wallonischen, der kleinere der Niederländischen Gemeinde.
Die endgültige Fertigstellung des Baus konnte jedoch erst 1623 erfolgen. Der doppelte Rundbau veranschaulicht beispielhaft das Ideal der protestantischen Predigtkirche. Das hochgezogene Dach erinnert an die spitzen Giebeldächer in den Städten der Niederlande und der norddeutschen Hanse. Der Name des Baumeisters der Hanauer Doppelkirche ist uns nicht bekannt.
In der Bombennacht vom 19. März 1945 wurde auch die Kirche ein Opfer der Flammen. 1960 vereinigten sich beide Gemeinden. Am 22. Mai desselben Jahres wurde der niederländische Teil der ehemaligen Doppelkirche als Wallonisch-Niederländische Kirche wieder in Dienst genommen. Die Ruine der Wallonischen Kirche ist heute ein Mahnmal zur Erinnerung an die Zerstörung Hanaus. In ihren Mauern eröffnete 1987 die Kathinka-Platzhoff-Stiftung ihr Diakoniezentrum. Seit 1999 befindet sich auf dem alten Turmstumpf eine Glockenstube mit vier Glocken. Sie tragen jeweils in französischer, niederländischer und deutscher Sprache die Namen: „Lobet“, „Dienet“, „Verkündiget“ und „Betet“.
Die Evangelisch-reformierte Kirche zu Hanau
Evangelisch-reformierte Christen verstehen ihre Gemeinde als eine nach Gottes Wort reformierte Kirche. Darum ist für sie seit jeher deren Ordnung von besonderer Wichtigkeit. Natürlich wissen wir, dass alles menschliche Tun immer unzureichend und vorläufig ist. Dennoch meinen wir, gerade in den Lebensäußerungen der Kirche soll die Ehre Gottes und die Herrschaft Christi sichtbar werden. Gottes Wort sammelt die Gemeinde. Durch Gottes Wort wird sie erhalten. Jesus Christus ist der Herr seiner Kirche. Kein kirchliches Amt und keine Gemeinde hat Vorrang vor anderen. Alles menschliche Herrschen und Regieren muss in einen vom Glauben geprägten Prozess des Beratens und Entscheidens eingebunden bleiben. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass sich nach reformiertem Verständnis die Kirche von unten her aufbaut, zuallererst Ortsgemeinde ist.
Die Wallonisch-Niederländische Gemeinde entscheidet darum eigenverantwortlich über ihre Belange. Die Aufgabe der Leitung obliegt dabei dem Konsistorium. Es trägt Verantwortung für das geistliche Leben, die Diakonie und Fragen des Rechts sowie der Verwaltung. Die Mitglieder dieses kollektiven Gremiums werden durch die Gemeinde gewählt. Der/die Präses-Älteste und der Pfarrer vertreten die Gemeinde nach außen.
Als „Parlament“ der Gemeinde fungiert das Große Konsistorium. Zu seinem Verantwortungsbereich gehören die Kirchenordnung, alle Vermögens- und Haushaltsfragen sowie die Wahl des Pfarrers. Das Große Konsistorium besteht aus dem Konsistorium und den ehemaligen Mitgliedern des Konsistoriums, die mindestens eine Wahlperiode lang im Amt waren.
Die hier skizzierte Struktur unserer Gemeinde verdeutlicht, wie viel Verantwortung jedem einzelnen Mitglied zufällt. Es gibt bei uns immer nur soviel Kirche, wie die Gemeindeglieder wollen und ermöglichen.
Dies wird nicht zuletzt bei der Kirchensteuer deutlich. Sie wird nicht mit staatlicher Hilfe über das Finanzamt eingezogen, vielmehr wird ein festgelegter Kirchenbeitrag direkt an die Gemeinde gezahlt.
Mitglied der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde wird man üblicherweise durch die Taufe bzw. die Konfirmation. Wer in einer anderen Kirche getauft, konfirmiert bzw. gefirmt worden ist, wird auf seinen persönlichen Antrag hin vom Konsistorium in die Gemeinde aufgenommen.
Die Taufe
Durch die Taufe wissen sich die Reformierten mit der weltweiten einen Christenheit aller Kirchen und Völker verbunden. Wie die anderen Kirchen auch, taufen wir im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes mit Wasser. Dabei benutzen wir die Taufkanne und die Taufschale, die uns aus den Zeiten unserer Väter überkommen sind. Die evangelisch-reformierte Kirche tauft je nach Begehren Kinder und Erwachsene. In aller Regel geschieht dies im Sonntagsgottesdienst der Gemeinde.
Die Taufe will uns all dessen froh und gewiss machen, was Gott in Jesus Christus an uns getan hat. Mit diesem Glaubenszeichen wissen sich reformierte Christen aufgenommen in den Bund Gottes mit den Menschen und in seine Gemeinde. Das bedeutet für sie einen starken ökumenischen Impuls. Die reformierten Kirchen waren darum Vorreiter in dem Streben nach einer weltweiten Verständigung zwischen den Kirchen. So bemüht sich auch die Wallonisch-Niederländische Gemeinde vor Ort um ein freundschaftliches Miteinander der Kirchen und ein gemeinsames christliches Zeugnis für die Menschen unserer Stadt.
Das Abendmahl
Ein besonderer Höhepunkt im gottesdienstlichen Leben der Gemeinde ist die Feier des Heiligen Abendmahls. Calvin lehrt uns: Durch Gottes Heiligen Geist ist Christus hier wirklich gegenwärtig. Gemeinsam mit den Christen aus den anderen Evangelischen und Evangelisch-Lutherischen Kirchen bekennen wir Reformierten darum:
„Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. Er gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben.“ (Konkordie reformatorischer Kirchen in Europa).
Die unterschiedlichen theologischen Akzentsetzungen der Anfangszeit sind heute für die aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen nicht mehr kirchentrennend. So besteht zwischen der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde und der sie umgebenden Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck die volle Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft.
In unserer Gemeinde wird das Abendmahl mit Einzelkelchen gefeiert. Die Zulassung zum Abendmahl erfolgt in aller Regel durch die Konfirmation. Darüber hinaus darf sich jeder, der in einer anderen christlichen Kirche beheimatet ist, bei uns zum Abendmahl eingeladen wissen.
Erbe und Verpflichtung
Sie haben nun einiges über unsere Gemeinde und ihre Geschichte erfahren. Für uns ist diese Geschichte nicht einfach Vergangenheit, sondern sie wirkt bis in unsere Tage fort. Der Weg unserer Gemeinde und das geistige Vermächtnis der Gründerväter haben ihren sinnfälligen Ausdruck im Wappenbild an der Decke unseres Kirchenraumes gefunden. Wir erkennen dort eine Palme. Sie ist auf der einen Seite mit einer Traube und auf der anderen mit einem Lastpaket versehen.
Die Palme ist das Wappenzeichen der wallonischen und niederländischen Gründerväter. „Die Palme“ war möglicherweise ein Geheimname für die verfolgte protestantische Kirche in Tournai (Hennegau). In Hanau nun stellten sie den Aufbau ihrer Gemeinden unter das biblische Wort: Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum (Psalm 92,13). Die Wallonische Gemeinde wählte als Symbol zu beiden Seiten der Baumkrone eine Traube, die Niederländische Gemeinde ein Lastpaket.
Als sich 1960 beide Gemeinden vereinigten, wurden in dem nun gemeinsamen Wappen beide Symbole zusammengefügt. Die Last erinnert uns daran, dass Christen, wenn sie Gottes Sache ernst nehmen, ihren Weg nicht nur unbeschwert gehen. Die Traube aber steht für die überraschende Erfahrung des Glaubens, dass gerade so das Leben des Einzelnen und der Kirche reichlich Früchte trägt.
In diesem Sinne wollen auch wir heute eine lebendige christliche Gemeinde sein. Wir wissen uns verbunden mit den vielen anderen christlichen Kirchen und Gemeinden, die wie wir als Volk Gottes unterwegs sind. Wir wollen offen sein für alle, die nach Gottes Wort fragen und Gemeinschaft suchen.
So danken wir Ihnen für Ihr Interesse und grüßen Sie herzlich.
Ihr Konsistorium der Wallonisch-Niederländischen Gemeinde Hanau