Liebe Gemeindeglieder,
liebe Freunde und Förderer unserer Gemeinde,
liebe Schwestern und Brüder im HERRN,
nun erreicht Sie das nächste Gemeindeblatt, das wieder einmal von Corona geprägt ist. Leider war das letzte Blatt auf dem Postweg verschwunden und wurde auch trotz Nachverfolgung nicht gefunden. Ich hatte dort im Grußwort geschrieben: „Heute erreicht Sie das aktuelle Gemeindeblatt. Sicherlich haben Sie es gleich gemerkt: es ist dünner als sonst. Auch dies „verdanken“ wir Corona. Alle Veranstaltungen sind seit März abgesagt worden und wir können auch noch nicht absehen, wie es in den nächsten Wochen weitergehen wird. Deshalb hat das neue Konsistorium auf seiner ersten Sitzung nach der Wahl entschieden, dass das kirchliche Leben bis Ende der Sommerferien ruhen wird. Allerdings betrifft dies nicht die Gottesdienste, aber dazu lesen Sie in diesem Gemeindeblatt noch Genaueres.“
Nun ist es August geworden und die Ferienzeit neigt sich dem Ende zu. Die Infektionszahlen steigen wieder und so erscheint es ratsam, dass wir auch weiterhin mit Vorsicht und Abstand unser kirchliches Leben gestalten. Viele wünschen sich die Normalität zurück, aber noch scheint diese weit entfernt zu sein.
Im vergangenen Gemeindeblatt schrieb ich: „Ich war zutiefst geschockt, als ich lesen musste, dass Gottesdienste in Deutschland verboten seien. Da hatte sich zum Glück ein klein wenig die Ungenauigkeit in die Berichterstattung eingeschlichen. Nicht Gottesdienste waren verboten, sondern die Zusammenkünfte, was ein kleiner, aber entscheidender Unterschied ist. Die Freiheit der Religionsausübung ist ein hohes Gut, für das unsere Glaubensvorfahren vor vier Jahrhunderten nach Deutschland geflohen sind. Eingeschränkt, aber nicht immer ganz alleine, habe ich seit März sonntags die Kirche geöffnet und in Andacht die fehlende Gemeinde vertreten. Für Sie zuhause wurden nun auch einige online-Andachten produziert, die Sie über unsere Homepage auf YouTube einsehen können.“
Seit Mitte Mai feiern wir nun wieder öffentliche Gottesdienste. Und auch die Marktmusik wird ab Ende August wieder beginnen, unter strengen Auflagen. Wir haben uns mittlerweile daran gewöhnt, Masken zu tragen und mehrmals die Hände zu desinfizieren. Und dennoch fühlen sich viele verunsichert und gehen nur für das Notwendigste aus dem Haus.
Diese Zeit geht nicht spurlos an der Wirtschaft und Gesellschaft vorbei. Auch ich selbst merke als Pfarrer, dass mich diese Zeit verändert. Irgendwie bin ich meiner Gemeinde vor Ort beraubt. Trauungen und Taufen wurden verschoben, und so sind Beerdigungen fast die einzigen Amtshandlungen, die zurzeit in meinem Kalender stehen. Dem Wunsch nach einem Hausbesuch kann oftmals nicht entsprochen werden, weil ich nicht zum Virus-Überträger werden möchte. Aber am Telefon kommt nur schleppend ein Seelsorgegespräch in Gang.
Ich fühle mich wie ein Kapitän, der das Gemeindeschiff durch dichten Nebel lenken soll. Es ist nicht abzusehen, wann sich der Nebel lichtet. Aber es ist mir wichtig, unsere Kirche auf Kurs zu halten. Und der Kompass des Glaubens weist uns die Richtung. Paulus schreibt davon in seinem Brief an die Philipper, Verse 8 und 9: „ Und nun, liebe Freunde, lasst mich zum Schluss noch etwas sagen: Konzentriert euch auf das, was wahr und anständig und gerecht ist. Denkt über das nach, was rein und liebenswert und bewunderungswürdig ist, über Dinge, die Auszeichnung und Lob verdienen. Hört nicht auf, das zu tun, was ihr von mir gelernt und gehört habt und was ihr bei mir gesehen habt; und der Gott des Friedens wird mit euch sein.“ Unser kirchliches Leben konzentriert sich zur Zeit auf den Gottesdienst. Dort finden Begegnungen und Gedankenaustausch statt und es kommt zur Sprache, wo es Probleme gibt. Es ist schön zu sehen, dass auch immer Nicht-Gemeindeglieder unseren Gottesdienst besuchen.
Aber abseits der Gottesdienste erlebe ich sämtliche Kirchen und Gemeinden in einer Krise. Krise bezeichnet immer auch einen Umbruch. Man zieht Bilanz über Vergangenes und schaut nach vorne, was anders werden könnte. Corona wird auch die Kirchen verändern. Manche meinen, Events wären die Rettung, andere konzentrieren sich wieder mehr auf das Geistliche. Gerade Letzteres gefällt mir. Denn leere Kirchen und Gottesdiensträume lassen mich fragen, wo die Sehnsucht der Menschen nach Gemeinschaft, Glaube und Zuspruch geblieben ist. Ist damit auch die Sehnsucht nach Gott zum Erliegen gekommen? Gerne würde ich gemeinsam mit den Jüngern in dem in Seenot geratenem Boot Jesus aufwecken und ihm zurufen: „Meister, macht es dir nichts aus, dass wir umkommen?“ (Markus 4, 38). Ist es Dir Gott egal, dass vielerorts auch die Kirchen so leer geworden sind?
Wir sehen die Folgen und das Leid von Corona, daneben auch noch die vielen Krisen in den verschiedenen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich empfinde, dass die Welt aufs Kreuz gelegt wurde. Diese Redensart kommt aus dem Ringen und bezeichnet den Moment, wenn ein Ringer seinen Gegner dann besiegt hat, wenn er ihn so auf den Boden zwingt, dass beide Schulterblätter gleichzeitig die Erde berühren. Auch Jesus wurde so aufs Kreuz gelegt, gekreuzigt und aufgerichtet. Und als er dort auf Golgatha hing, schrie er: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Matthäus 27, 46). Ich empfinde mich dieser Tage vereint mit den Menschen, die damals unter dem Kreuz standen und erwartungsvoll hofften, dass etwas Himmlisches oder Göttliches passieren würde, die eine Sehnsucht nach einem geistlichen Aufbruch in sich trugen und mit Gott in ihrem Leben rechneten. Und es geschah tatsächlich drei Tage später: Der Tod war überwunden und Christus erstand aus dem Grab von den Toten.
Im vergangenen Grußwort schrieb ich: „Mich tröstet das Wissen, dass unsere Kirche und Vorfahren schon andere Zeiten überstanden haben: Da gab es Pest und Blattern, Kriege und Aufstände, Hungersnöte und Wirtschaftscrashes. Das vergangene Jahrhundert begann auch mit einer Pandemie, der Spanischen Grippe, und musste zwei Weltkriege verkraften. Dies alles macht mich hoffnungsvoll, dass unsere Gemeinde auch diese Zeit überstehen wird und wir gemeinsame Wege finden, möglichst bald unser Gemeindeleben wieder zum Laufen zu bringen.“
Im nautischen Bild des Nebels möchte ich mit einem Zitat schließen: „Es ist die Hoffnung, die den Schiffbrüchigen rudern lässt, obwohl kein Land in Sicht ist.“ Und so wünsche ich Ihnen diese Hoffnung mitten in unserer momentan so am Boden liegenden, vielleicht mehr tot als lebendig erscheinenden Welt: dass wir nach Angst, Sorge und Pessimismus überrascht werden, welche neuen Chancen und Perspektiven für uns bereit liegen nach dieser Zeit des Abwartens.
Und halten wir uns gerade in diesem Nebel des Lebens an den Bibelvers, den sich unsere Gründer ins Wappen geschrieben haben: „Der Gerechte wird grünen wie ein Palmbaum (Psalm 92, 13)“.
Herzlich grüßt Sie aus der Gärtnerstraße
Ihr
Torben W. Telder, vdm - Pfarrer