von Prälat Bernd Böttner - Text: Markus 6, 35 - 44

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde!

Zwei Fische und fünf Brote, geteilt durch 5000: Selbst wenn die Fische groß waren und das Brot auch – da hat nicht jeder etwas abbekommen. Schon früh ist man deshalb darauf gekommen, dass die 5000 wohl selbst Proviant in der Tasche gehabt haben müssen. Viele von ihnen haben vielleicht sogar gelacht, als sie gesehen haben, wie die Jünger mit ihrer schmalen Kost durch die Reihen gegangen sind und hier und da ein bisschen verteilt haben.

Andere waren gerührt von dieser hilflosen Geste. Und dann haben sie ausgepackt, was sie dabeihatten: Fladenbrot, getrockneten Fisch, Oliven, Datteln, Feigen und so weiter. Sie haben davon in der Runde weitergegeben. Am Ende war niemand mehr hungrig.

Das Wunder war also gar nicht so spektakulär, wie viele immer denken?

So einfach ist es dann aber wieder doch nicht, Menschen zum Teilen zu bewegen. Denn wenn es so einfach wäre, sähe es anders aus in unserer Welt. Dann wären die Güter der Erde anders verteilt. Dann würden nicht wenige Reiche viel und viele Arme wenig besitzen. Dann würde jeder genug zum Leben haben. Also ist es doch ein gar nicht so kleines Wunder, dass die vielen ihre Brotbeutel öffnen und das Mitgebrachte schwesterlich und brüderlich teilen, so dass alle etwas bekommen und sogar satt werden.

So betrachtet beginnt das Wunder in Wahrheit sogar schon viel früher: Ein Wunder ist nämlich auch, dass überhaupt so viele Männer, Frauen und Kinder gekommen sind, um das Evangelium zu hören. 5000 sind gekommen, um Jesus zu hören und zu erleben. 5000, die hoffen, Nahrung für den Hunger ihrer Seele zu bekommen. 5000, in denen die Begeisterung für eine neue Zeit brennt. Das ist alles andere als normal. Das allein ist für mich schon ein Wunder.

Das ist ja unter Corona-Bedingungen völlig unvorstellbar, aber stellen wir uns das einmal konkret vor: 5000 Menschen kommen zusammen zu einem Gottesdienst, der sich über mehrere Stunden, ja sogar einen ganzen Tag lang hinzieht: Die Menschen sind begeistert. Sie vergessen nicht nur Essen und Trinken, sondern auch das Nachhause Gehen. Es gibt nur wenige Situationen im Leben, in denen wir uns so verhalten. Am ehesten, wenn wir richtig verliebt oder von einer Sache total begeistert sind.

In diesem Zusammenhang ist es mir wichtig, darauf zu schauen, wer eigentlich was tut und wem in der Geschichte welche Aufgabe zugewiesen wird.

Die Jünger möchten, dass Jesus die Menschen wegschickt. Sie sollen in den Dörfern ringsum ihr Glück versuchen und sich etwas zum Essen besorgen.

Die Jünger aber bekommen von Jesus den Auftrag, sich um die Menschen zu kümmern: Gebt ihr ihnen zu essen!

Die 5000 sind keiner Einladung zu einem Vortrag mit anschließendem Sekt und Häppchen gefolgt. Sie kamen ungebeten, wenn auch nicht ungelegen. Die Jünger ergötzen sich nicht an der Menge, sondern beginnen, sich Sorgen zu machen. Wie kommen die Leute nach Hause? Wie bekommen sie etwas zu essen? Die Jünger handeln aus Verantwortung, darum fordern sie Jesus auf: Lass das Volk gehen! Schick sie weg, damit sie hingehen in die Dörfer und Höfe ringsum und Herberge und Nahrung finden. Hier gibt es nichts und wir haben nichts!

Jesus aber entlässt weder die Menschen, noch entlässt er die Jünger aus ihrer Verantwortung. Sie sollen sich zuständig wissen. So könnte er gesagt haben: 

Nehmt Euch ein Beispiel an den 5000! 

Sie sind nicht zuhause geblieben. Sie sind gekommen. Sie erwarten, dass einer sich für ihr Schicksal interessiert. Sie suchen, was ihr Leben ausfüllt. Sie wollen Orientierung, ja, sie suchen das Heil. Da könnt Ihr sie doch nicht wegschicken, nur weil das Problem zu lösen ist, wie denn die Menschen satt werden.

So gibt Jesus den Jüngern einen Auftrag: Geht hin und schaut nach – oder kürzer: Schaut hin!

Schaut hin! Schaut genau hin! Welche Ressourcen habt Ihr?

Jesus lässt sich nicht die Verantwortung zuschieben. Er setzt auf die Gemeinschaft, auf die Gemeinschaft der Jünger und die Gemeinschaft der 5000. 

Die Aufforderung „schaut hin!“ führt die Jünger dazu, ihre eigenen Möglichkeiten und die der 5000 zu entdecken und die Gemeinschaft eines großen Mahles. 

In überschaubaren Tischgemeinschaften sollen sie sich auf dem Gras lagern. 

So entstehen aus einer großen, kaum zu überschauenden Menge überschaubare Gemeinschaften, in denen untereinander Beziehungen aufgenommen werden können. Da kann ich mir Gesichter merken. Da kann ich ins Gespräch kommen. Da kann ich zuhören und erfahren: Welche Not und welche Möglichkeiten haben denn jede und jeder Einzelne? Da werden aus einer nicht greifbaren Zahl von Hungernden Menschen, deren Not ich konkret wahrnehmen kann, deren Not mich wirklich anrührt. So kann die Bereitschaft wachsen, mich auf die andere und den anderen einzulassen und mit ihr und ihm zu teilen, was ich habe.

Die Jünger erscheinen hier schon in der Aufgabe, die ihnen bald zufallen wird, nämlich Gemeinschaften und Gemeinden zu leiten. Zu dieser Aufgabe gehört es, genau hinzuschauen, in welcher Situation Menschen sind, was sie zum Leben benötigen – und dann erst zu predigen, zu beten, zu segnen, zu heilen, zu taufen, Abendmahl zu feiern – dafür zu sorgen, dass Menschen das zum Leben bekommen, was sie zu einem guten Leben benötigen, so dass die einen von ihrem Überfluss abgeben und die anderen davon erhalten.

Das „schaut hin!“ richtet sich bis heute an uns als bleibende Aufforderung, genau hinzusehen, Visionen zu trauen, eigene Handlungsmöglichkeiten zu entdecken. Das „schaut hin!“ fordert uns auf, in der Wahrnehmung der oft unlösbar erscheinenden Probleme nicht hängen zu bleiben, sondern die Augen zu öffnen, für das was wir selbst tun können, für andere und in der Gemeinschaft mit ihnen.

Nach den ökumenischen Kirchentagen 2003 in Berlin und 2010 in München sollte der 

3. Ökumenische Kirchentag im Mai dieses Jahres in Frankfurt über Himmelfahrt mehr als 100.000 Menschen zusammenführen, um gemeinsam zu singen, zu feiern, zu beten, zu diskutieren, um gemeinsam hinzuschauen auf das Leben in Frankfurt, einer ökumenischen, multi-religiösen, und multi-kulturellen Stadt, einer Stadt mit Reichtum und Armut, einer Stadt, die Dreh- und Angelpunkt ist für so viele Menschen, die weltweit unterwegs sind. 

Ich habe mich riesig gefreut auf dieses große Zusammentreffen von jungen und alten Menschen, von Menschen aus den evangelischen Kirchen und der katholischen Kirche, von Menschen aus den vielen in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen zusammengeschlossenen Kirchen und Gemeinden sowie aus den vielen gerade in Frankfurt ansässigen Migrationsgemeinden. Ich habe mich gefreut auf den Dialog mit Juden, Muslimen und Menschen vieler anderer Religionen. „Schaut hin!“, wer und was Euch da begegnet in dieser Stadt! Das war unsere Bitte, das war unsere Hoffnung.

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Seit mehreren Jahren bereiten viele Menschen diesen Kirchentag vor. Ich selbst vertrete im Gemeinsamen Präsidium des Ökumenischen Kirchentages meine Landeskirche und könnte ein Lied davon singen, wie viele Menschen seit Jahren ihre ganze Energie und ihr Knowhow eingebracht haben und einbringen.

Es ist ein Jammer, der zum Himmel schreit, dass wir diesen Kirchentag nicht mit vielen Menschen in Frankfurt feiern können. So wie es ein Jammer ist, wie viele Menschen an Covid19 erkranken und versterben, wie viele  seit Wochen und Monaten auf den Krankenstationen, in den Seniorenheimen, in den Pflegediensten Schwerstarbeit leisten, unter welchen Bedingungen Kinder unterrichtet und in Kitas betreut werden, wie viele unter den wirtschaftlichen Folgen zu leiden haben, unter dem Beschäftigungsverbot, unter den Kontaktbeschränkungen und unter der Einsamkeit. Es geht nicht darum zu unterscheiden, welches Leid kleiner oder größer ist, das wird ohnehin sehr individuell erlebt und ausgehalten.

Und es ist sicher auch wichtig und gut zu erwähnen, wie viele zur Hilfe bereit sind, andere unterstützen, was da an Kreativität in den letzten Monaten gewachsen ist, welche neuen Möglichkeiten entdeckt wurden und genutzt werden, Gemeinschaft zu ermöglichen. Was an Kreativität und Wissen zusammengekommen ist, um einen Impfstoff zu entwickeln und was das für ein Geschenk ist, dass er schon vorhanden und einsetzbar ist.

Für das alles bin ich unendlich dankbar. Aber das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, auf was wir alles verzichten müssen – und wir sollten uns die Trauer und die Klage darüber nicht verbieten. „Schaut hin!“ Schaut auf das Leid. 

„Es ist nicht vorbei. Ein Jahr nach dem Terroranschlag von Hanau erzählen Überlebende und Angehörige der Opfer ihre Geschichte.“ So titelte das Zeit-Magazin in der vorletzten Woche.

Die Bilder, die ich gesehen habe, und die Geschichten, die ich gelesen habe, dauern mich, um es mit einem alten Wort zu sagen, das auch Luther verwendet hat , um zum Ausdruck zu bringen, welche Reaktion das Leid der Menschen in Jesus hervorgerufen hat. Menschen trauern und leiden. Sie benötigen unser Mitgefühl, unser Mitleiden, auch wenn wir damit nicht ungeschehen machen können, was geschehen ist. Sie benötigen umso mehr unsere Solidarität, unsere Gebete.

„Schaut hin!“ heißt aber auch, ganz genau auf die Ursachen von Hass und Gewalt zu schauen, nicht wegzuschauen, wenn die Würde des Menschen in Frage gestellt wird, sich nicht wegzuducken, wenn es darum geht, das Lebensrecht aller in Freiheit und Gerechtigkeit durchzusetzen.

Auch darum ist so wichtig, dass der 3. Ökumenische Kirchentag stattfindet, ganz anders als geplant, digital und dezentral, von Frankfurt ausgehend – so wie das im Mai möglich sein wird – und mit einem deutlichen ökumenischen Signal.

Er beginnt am Himmelfahrtstag mit einem ökumenischen Gottesdienst unter freiem Himmel, vom Fernsehen übertragen. Am Samstag werden den ganzen Tag über digitale Foren geöffnet sein. Abends werden konfessionelle Gottesdienste gefeiert – mit Abendmahl oder Eucharistie – in denen die anderen jeweils ökumenisch sensibel mitfeiern. 

Ein ökumenisches Signal soll von diesen Gottesdiensten ausgehen, das Gemeinsame Präsidium hat es so beschrieben:

„Als Christinnen und Christen erfahren wir die Gegenwart Jesu Christi an allen Orten, an denen sich Menschen in seinem Namen versammeln. Wir glauben gemeinsam, dass Jesus Christus selbst uns im verkündigten Wort des Evangeliums anspricht. Wir vertrauen darauf, dass Jesus Christus – wie er uns zugesagt hat – in der Feier des Abendmahls und in der Feier der Eucharistie wahrhaft und wirksam gegenwärtig ist. Wir verkündigen seinen Tod für uns; wir glauben, dass er auferstanden ist und lebt; wir hoffen, dass er wiederkommt zum Heil der Welt. Gemeinsam feiern wir dieses Geheimnis unseres Glaubens und lassen uns von ihm zu seinem Gedächtnis sagen: „Schaut hin und erkennt mich beim Brechen des einen Brotes und in der Gabe des einen Bechers für euch alle. Dann geht in meinem Geist verwandelt und gestärkt in die Welt.“

Soweit das Gemeinsame Zeugnis, das vom Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt ausgehen soll.

Ein Stück Brot und ein Schluck Wein verdeutlichen wie die fünf Brote und die zwei Fische:

Wo Menschen sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden, sondern im Vertrauen auf Gott ihr Leben leben und mit anderen teilen, da geschehen Wunder. Da geschieht das Wunder, das alle anderen Wunder hervorbringen kann: Gott selbst bringt Menschen an einen Tisch und lässt sie einander als Schwestern und Brüder erleben.

Ein kleines Stück Brot, ein Schluck aus dem Kelch, das ist nicht viel, das ist nicht zu vergleichen mit einem 4-Gänge-Menue. Ein kleines Stück Brot und ein Schluck aus dem Kelch können aber einen großen Hunger stillen, den Hunger danach, geliebt, geachtet, wertgeschätzt, gestärkt und getröstet zu werden.

Und auch das ist ein Leiden in dieser Pandemie, dass bei aller Ermutigung, die für mich von digitalen Abendmahlsfeiern ausgehen, ich mich danach sehne, irgendwann wieder Brot und Kelch in großer Gemeinschaft zu mir nehmen zu können. Amen

- es gilt das gesprochene Wort! -